Erst der Putsch hat die Verfassung gebrochen

Honduras: Repression gegen die Demokratiebewegung hält an

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Wendy Cruz ist Sprecherin der Lateinamerikanischen Koordination der Landarbeiterorganisationen und der internationalen Agrarorganisation Vía Campesina in Honduras. Für ND sprach Harald Neuber mit der Aktivistin.
Erst der Putsch hat die Verfassung gebrochen

ND: Frau Cruz, am Montag hat die sogenannte Interimsregierung unter Roberto Micheletti in Honduras die Ausgangssperre aufgehoben. Ist Honduras nach dem Militärputsch vom 28. Juni wieder auf dem Weg zur Normalität?
Wendy Cruz: Nein. Honduras ist weit von der Normalität entfernt. Unsere führenden Aktivisten im ganzen Land werden auch weiterhin von den Streitkräften verfolgt. Nehmen Sie etwa die Lage in der Stadt Tocoa im nördlichen Bundesstaat Colón: Der Stadtteil Colonia Guadalupe Carney ist seit Tagen von Soldaten der 105. Brigade und von Marinesoldaten umkreist. Sie kontrollieren die Einwohner und erlauben nicht, dass jemand an politischen Kundgebungen teilnimmt. Vor allem aber können sie zu jedem Zeitpunkt wieder eine Ausgangssperre verhängen, falls ihnen die Proteste der Demokratiebewegung zu stark werden.

Am Sonnabend wurden zwei Gegner des Micheletti-Regimes erschossen. Hatten diese Morde einen politischen Hintergrund?
Das glauben wir sehr wohl. Bei den Mördern von Roger Bados und Ramón Garcia handelte es sich unserer Meinung nach um Militärs in zivil.

Ein harter Vorwurf.
Dennoch: In unseren gewaltfreien Protestmärschen haben wir mehrfach Militärs enttarnt, die sich als Provokateure unter die Leute gemischt hatten. Einer dieser V-Leute war sogar bewaffnet. Diese Strategie hat das erkennbare Ziel, die Organisatoren der Proteste einzuschüchtern.

Wie reagieren Sie auf diese Bedrohung?
Zunächst dokumentieren wir mit Hilfe der Menschenrechtsorganisation COFADEH und einiger unabhängiger Juristen die Fälle von Menschenrechtsverletzungen. Und wir erklären immer wieder, dass wir den Kampf um die Rückkehr zur Demokratie fortführen. Auch wenn die Putschregierung von Roberto Micheletti Jagd auf uns macht und unser Leben bedroht.

Sie erhalten nun seit zwei Wochen die Proteste aufrecht: Es gibt Demonstrationen, Straßenblockaden, Bürgerversammlungen. Welche Wirkung haben diese Aktionen?
Sie haben in erster Linie die verschiedenen Bewegungen und die Menschen zusammengeführt. Honduras erlebt einen wahren Aufstand der Bevölkerung, einen gemeinsamen zivilen Widerstand. Und das nun schon in der dritten Woche.

Noch am Tag des Putsches hat sich ein Widerstandsbündnis formiert. Wer ist Teil dieser Nationalen Widerstandsfront gegen den Staatsstreich in Honduras?
Diese Widerstandsfront vereint die wichtigsten sozialen Bewegungen unseres Landes. In ihr finden sich Landarbeiterorganisationen, Indigene, Mitglieder der Garifuna-Volksgruppe, Frauengruppen, Jugendorganisationen, Gewerkschaftsverbände, Einzelgewerkschaften, Nachbarschaftsgruppen und andere. Der Nationalen Widerstandsfront steht eine politische Kommission vor, die über Strategien und Aktionen berät.

Die sozialen Organisationen haben doch aber in den vergangenen Monaten und Jahren eher Distanz zu Präsident Zelaya gewahrt. Hat sich das verändert, hat sich diese Bewegungen politisiert?
Wenn Sie damit meinen, dass wir uns auf die Seite einer bestimmten politischen Partei stellen, so kann ich das klar verneinen. Wir haben das seit dem Militärputsch auch immer sehr deutlich gemacht. Wir kämpfen unter Führung der sozialen Organisationen und Bewegungen für die Demokratie und die Rückkehr des Landes zur verfassungsmäßigen Ordnung.

Nach Angaben des costaricanischen Präsidenten Oscar Arias soll der Dialog zwischen Präsident Manuel Zelaya und Roberto Micheletti demnächst fortgeführt werden. Was erwarten Sie von diesen Gesprächen?
Die sozialen Bewegungen im Widerstand erwarten nichts davon. Im Gegenteil: Wir haben diese Kontakte mit den Putschisten von Beginn an als sinnlos bezeichnet. Allerdings haben wir uns auch nicht dagegen gewendet, weil wir uns nicht den Vorwurf gefallen lassen wollten, einen Ausweg zu verhindern. Wir glauben, dass die Putschisten mit diesen Verhandlungen Zeit schinden wollen. Sie hoffen, dass die Proteste über die Wochen hinweg an Kraft verlieren. Das ist ihr größter Irrtum.

Grund für den Staatsstreich war der Versuch Präsident Zelayas, eine verfassunggebende Versammlung einzurichten. Was halten Sie von dieser Initiative?
An einer verfassunggebenden Versammlung führt spätestens seit dem Staatsstreich kein Weg mehr vorbei. Erst dieser Militärputsch hat Staat und Verfassung zerstört. Darum muss es jetzt darum gehen, einen neuen Staat auf der Basis einer neuen Verfassung zu schaffen, um die Teilhabe der Bevölkerung, die Demokratie und die Integration aller sozialen Schichten zu sichern. Die Herrschaft der Oligarchie in Honduras muss beendet werden. Wir haben als Volk das Recht, aktiv an der Entwicklung des Landes mitzuwirken.

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