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Brüssel braucht mehr Transparenz

Lobbyismus in der EU: Interessen der Bürger sind schlecht vertreten (Abschluss der Serie)

  • Lesedauer: 4 Min.
Brüssel braucht mehr Transparenz

ND: In Brüssel gibt es nicht nur viele EU-Mitarbeiter, sondern auch zahlreiche Lobbyisten.
Katzemich: Interessenvertretung ist ein Element der Demokratie, und Politik wird immer komplexer. Für die Politiker ist es schwierig, alle Aspekte eines Themas bei ihrer Arbeit von sich aus mitzudenken. Da ist es grundsätzlich richtig und nötig, dass Interessengruppen ihre Forderungen einbringen.

Wogegen wendet sich dann Ihr Verein?
Bei der politischen Interessenvertretung haben wir es mit einem großen Ungleichgewicht zu tun. Von den geschätzten 10 000 bis 20 000 Lobbyisten in Brüssel sind ungefähr 70 Prozent direkt oder indirekt für die Interessen von Unternehmen zuständig. Dagegen machen Gewerkschaften und Nichtregierungsorganisationen, die sich etwa für Themen wie Gesundheit, Verbraucher- oder Umweltschutz einsetzen, gerade mal zehn Prozent aus – Interessen, die eigentlich Bürger betreffen, sind also extrem schlecht vertreten.

Eine exakte Zahl der Lobbyisten gibt es nicht?
Deshalb setzen wir uns ja so für ein Register ein, in das sich alle Brüsseler Lobbyisten eintragen müssen.

Was hätte man davon?
Mehr Transparenz.

Wofür ist das gut?
Bei sehr vielen Lobby-Aktionen weiß der Bürger überhaupt nicht, von wem sie kommen. Es gibt viel verdeckte Lobby-Arbeit in Brüssel, viel stärker als in Deutschland. Der Bürger kann nicht ersehen, von wem das, was ihm gesagt wird, stammt. Ist es eine objektive Aussage oder steht da ein bestimmtes Interesse dahinter?

Zwischen Lobbyisten und Bürgern stehen aber doch noch die Politiker.
Die könnten tatsächlich für Transparenz sorgen, in dem sie sagen: Ich vertrete diese oder jene Position, weil ich bestimmte Informationen von bestimmten Interessenvertretern erhalten habe. Es kommt immer wieder vor, dass Europaabgeordnete Positionen vertreten, die auf bewusst einseitig zusammengestellten Informationen beruhen.

Die »bösen« Informationen von der Wirtschaft, die »guten« von den Umweltverbänden?
Der Punkt ist eher das Machtverhältnis. Es gibt ein krasses Ungleichgewicht. Die Wirtschaft hat einfach mehr Geld, mehr Personal, mehr Ressourcen, mehr Lobby-Verflechtungen, um ihre Interessen durchzubringen. Sie hat auch mehr Druckpotenzial.

Welches zum Beispiel?
Arbeitsplätze etwa. Das ist der Klassiker. Oder Wettbewerbsfähigkeit. Dagegen kommen Bürgerinteressen wie Gesundheit, Umwelt und so weiter leider nicht an.

Haben also Verbraucher- oder Umweltschutz bei der EU letztlich nie eine richtige Chance gegen die Wirtschaftsinteressen?
Ich will nicht ganz so pessimistisch sein. Man kann das vielleicht als einen Kampf David gegen Goliath sehen.

Dann ist auch die angebliche Hinwendung der EU-Politik zu mehr Verbraucherschutz ein Lippenbekenntnis?
Es ist zumindest zu befürchten. Aber wir dürfen auch nicht vor der Situation kapitulieren. In Brüssel gibt es eine sehr lebendige Demokratie und kritische Organisationen wie LobbyControl werden dort immer präsenter.

Entscheiden letztlich die Lobbyisten die Politik in Brüssel?
Letztendlich entscheiden immer noch, so hoffen wir zumindest, die Mitglieder des Parlaments, die Mitglieder des Ministerrats, die Kommissare. Aber die müssen es schaffen, sich dem Druck der Lobby nicht zu beugen. Auch wenn das nicht ganz einfach ist.

Wie könnte man die Lobby-Arbeit so gestalten, dass Bürger tatsächlich etwas davon hätten?
Es gibt ja sehr viele Expertenkommissionen in der EU. Es wäre schon mal ein sehr wertvoller Ansatz, diese ausgeglichener zu besetzen. Nur ein Beispiel: 2005 haben Industriekommissar Verheugen und der Präsident des Verbandes der Europäischen Automobilhersteller, damals Bernd Pischetsrieder, eine hochrangige Arbeitsgruppe namens Cars 21 eingesetzt. Sie sollte im Auftrag der EU-Kommission Empfehlungen entwickeln, wie sich Wettbewerbsfähigkeit und Nachhaltigkeit der europäischen Automobilindustrie gut verbinden lassen, das war im Zuge der Diskussion um eine stärkere Regulierung der CO2-Emissionen. Es gab sieben Sitze für die Industrie, aber nur einen für ein Umweltinstitut und keinen für die Konsumenten. Das ist schon eine ziemliche Schieflage. Wenn man diese Praxis ändern und dazu Transparenz erreichen könnte, wären wir schon einen ganz großen Schritt weiter.

Nina Katzemich arbeitet beim Verein LobbyControl. Er wurde 2005 gegründet, betreibt ein Büro in Köln und will über »Denkfabriken«, Meinungsmacher und PR in Deutschland und der EU aufklären. Der Verein ist Mitglied im europäischen Dachverband Alter-EU, der für transparente Lobby-Arbeit eintritt. Mit der 33-Jährigen sprach Kai Wagner zum Abschluss unserer Serie.

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