Prüfprotokolle bei Berliner S-Bahn offenbar gefälscht

Wartung der Züge nur auf dem Papier – Anweisung kam von »ganz oben« / Bahnvorstand setzt externe Ermittler ein

  • Bernd Kammer
  • Lesedauer: 3 Min.
Die Skandale bei Berliner S-Bahn reißen nicht ab. Bei dem Tochterunternehmen der Deutschen Bahn AG (DB) sind offenbar jahrelang Protokolle der Werkstätten manipuliert worden. Arbeiten sollen als erledigt abgehakt worden sein, ohne dass sie ausgeführt worden waren.

Die Konzernrevision und die Staatsanwaltschaft ermitteln schon, jetzt will der Bahnkonzern die Missstände bei der Berliner S-Bahn auch durch externe Ermittler aufklären lassen. Der Konzern habe die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG und eine Berliner Anwaltskanzlei mit der Aufgabe betraut, teilte der Chef des DB-Personenverkehrs, Ulrich Homburg, gestern mit. Ziel der Ermittlungen sei »die lückenlose Aufklärung der Unregelmäßigkeiten« bei der Wartung der Züge.

Wegen Sicherheitsmängeln an Rädern und Bremsen ist derzeit nur ein Viertel der Berliner S-Bahn-Flotte einsatzbereit. Laut Homburg stellte es sich jetzt heraus, dass systematisch gegen Tauschvorschriften für Bremszylinder an den Zügen verstoßen wurde. Es seien Prüf- und Wartungsarbeiten dokumentiert worden, »die nicht vollständig oder gar nicht durchgeführt wurden«. Schon in den vergangenen Monaten war bekannt geworden, wie lax bei der S-Bahn lange Zeit mit Prüffristen umgegangen wurde. Die ehemalige Geschäftsführung wurde deshalb im Juli abgesetzt. Die bewusste Manipulation von Wartungsarbeiten wäre aber eine neue Qualität.

Die externen Prüfer sollen nun auch ein Konzept zur Vermeidung solcher Vorgänge erarbeiten. Die Bahn dulde »keinerlei Unregelmäßigkeiten« bei Vorgängen, die mit der Sicherheit von Fahrgästen zu tun hätten, erklärte Homburg. Die Missstände sollten ohne Ansehen der Person aufgeklärt werden. Klar sei, dass die Verantwortung nicht bei einzelnen Mitarbeitern in der Zugwartung liege. Das sei »nur auf Anweisung von ganz oben« möglich gewesen. Verantwortliche Manager hätten »möglicherweise grob fahrlässig agiert. Es werde geprüft, ob die Verantwortlichen auch finanziell zur Rechenschaft gezogen werden könnten.

Dass ihr Sparkurs schuld an der Misere ist, will die Bahn aber wohl immer noch nicht wahrhaben. Sollten Sparmaßnahmen Grund für Fehler sein, würden sie abgestellt, sicherte Homburg zwar zu. Bei den Bremszylindern jedoch, die das jüngste Chaos auslösten, seien Schrauben nicht ausgetauscht worden, die »Pfennigartikel« seien. Allerdings wurde das Werkstattpersonal, das sie hätte austauschen können, radikal abgebaut, seit 2005 um 40 Prozent.

Dass die Mitarbeiter in den Werkstätten Unterlagen gefälscht hätten, weist auch S-Bahn-Betriebsratschef Heiner Wegener zurück. »Im Gegenteil, wir haben seit langem darauf aufmerksam gemacht, dass da etwas nicht koscher ist. Aber das wurde ignoriert.« Ursache für die Krise sei, dass durch die S-Bahn-Führung das Wartungsprogramm drastisch reduziert wurde und dadurch die vorgeschriebenen Fristen nicht eingehalten werden konnten.

Hans-Werner Franz, Geschäftsführer des Verkehrsverbundes Berlin-Brandenburg (VBB), hält die Aufklärung der S-Bahn-Misere für überfällig. Das Verwirrspiel der Bahn beim Thema Qualität und Zuverlässigkeit müsse ein Ende haben. »Nur wenn das Missmanagement in den Führungsebenen des Bahn-Konzerns aufgeklärt ist und ein verlässliches Umsteuern in der Unternehmensstrategie stattfindet – weg von überzogenen Gewinnerwartungen wieder hin zu Qualität für die Fahrgäste –, kann das Vertrauen in die S-Bahn wiederhergestellt werden.«

Die Lokführergewerkschaft GdL hält es für möglich, dass bei der S-Bahn noch weitere Missstände zutage kommen. Da die Probleme nur Stück für Stück ans Licht kämen, sei zu befürchten, »dass noch einige andere Leichen im Keller liegen«, sagte der GdL-Chef für Berlin, Brandenburg und Sachsen, Hans-Joachim Kernchen.

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