Brandt war der letzte große Visionär

Elke und Wolfgang Leonhard über die Krise der SPD, erstarrte Rituale und unnötige Berührungsängste

ELKE LEONHARD hat mit ihrem kessen Hut im Bundestag für Aufregung gesorgt. Die Abgeordnete nahm ihn trotz Aufforderung des Präsidenten nicht ab. Und sie nimmt kein Blatt vor dem Mund, wenn es um die Krise ihrer Partei geht. Ebenso nicht ihr Mann WOLFGANG LEONHARD. ND-Redakteurin KARLEN VESPER fragte das Wissenschaftlerehepaar nach Ursachen und Folgen der SPD-Misere.

ND: Es barmt einen der Zustand der SPD. Wie konnte sie so tief sinken?

Elke Leonhard: Ohne Zweifel: Die SPD steckt in einer tiefen Krise. Ich fürchte, da hilft weder Erbarmen noch Mitleid. Im Gegenteil. Wenn sich die SPD nicht mit einem Dauerabonnement für die Opposition zufrieden geben will, braucht sie die innere und äußere Konfrontation. Trotz exzellentem Deutschlandplan hat sich die Führung der Partei mit ihrer bis zum Exzess betriebenen Taktiererei ins Aus manövriert. Sie bediente sich seit 2002 in allen Wahlkämpfen eines klassenkämpferischen Vokabulars, das im diametralen Widerspruch zu dem anschließenden Regierungshandeln stand. Diese schizophrene Kommunikation verwirrte nicht nur die Wähler, sondern trieb sie schnurstracks anderen Parteien in die Arme und trug erheblich zur nominalen Steigerung der Gruppe der Nichtwähler bei. Mit etwas Humor erinnert dies an Tucholskys sarkastische Rechenaufgabe: »Eine sozialdemokratische Parte...


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