General Motors will Europa nicht sausen lassen

Nach der Absage des Verkaufs von Opel müssen sich alle Beteiligten neu positionieren / US-Konzern möchte den Verlust wichtiger Technologie vermeiden

  • John Dyer, Boston
  • Lesedauer: 4 Min.
General Motors sieht sich offenbar in der Lage, die Tochter Opel selbst zu restrukturieren. Doch was man genau vorhat, ist bislang unklar.

Bei General Motors ist man nach überstandener Insolvenz wieder optimistisch. Das erklärt die überraschende Entscheidung des Verwaltungsrates vom Dienstag, die europäische Tochter Opel nun doch nicht an das Konsortium Magna/Sberbank zu verkaufen.

Als die Verhandlungen über einen Opel-Verkauf im Frühjahr begonnen wurden, befand sich GM tief in der Krise. Ganz frisch war noch der Eindruck des Zusammenbruchs der Wall Street. Zuletzt haben die Verkäufe von GM-Automobilen erstmals nach zwei Jahren Abwärtstrend wieder angezogen und man erwartet höhere Einnahmen. »Das Geschäftsklima in Europa hat sich verbessert«, erklärte denn auch Konzernchef Fritz Henderson vor der Sitzung in Detroit. »Die finanzielle Stärke und die Stabilität von GM haben sich insgesamt in den vergangenen Monaten verbessert, was uns Zuversicht gibt, dass das Europa-Geschäft erfolgreich restrukturiert werden kann«, fügte Henderson hinzu.

GM hat seit Beendigung seiner Insolvenz im Juli noch keinen Finanzbericht veröffentlicht. Aber die Entscheidung, an Opel festzuhalten, weist auf das Vorhandensein oder zumindest die sichere Aussicht auf höhere Einnahmen hin. Die Zahlen für das dritte Quartal sollen am 15. November veröffentlicht werden. »Wir verspüren Aufwind, ganz klar«, sagte der GM-Chefanalyst für die Verkaufssparte, Michael DiGiovanni.

Der Beschluss der GM-Führung zeigt auch, dass die zum Teil durch die Obama-Regierung handverlesenen Vorstandsmitglieder energisch auch radikale Lösungen angehen, um den Konzern wieder zu gewohnter Stärke zurückzuführen. GM gehört wegen der umfangreichen Staatshilfen derzeit zu 60 Prozent der US-Regierung. Washington wäscht jedoch die Hände in Unschuld: »Die Regierung war an dieser Entscheidung nicht beteiligt, die vom Verwaltungsrat bei GM getroffen wurde«, teilte Regierungssprecherin Meg Reilly mit.

Durch das Festhalten an Opel behält GM neben Chevrolet noch eine zweite Marke auf dem europäischen Automarkt – und vor allem das wichtigste Entwicklungszentrum für mittlere und kleine Autos in Rüsselsheim. Diese werden in den kommenden Jahren besonders wichtig, zumal auch in den USA spritsparende Fahrzeuge immer mehr gefragt sind. Verhindert wird, dass russische Autohersteller Zugang zur Opel-Technologie bekommen, wodurch sie zu Konkurrenten aufsteigen könnten.

»Opel zu verkaufen hat aus meiner Sicht niemals Sinn gemacht«, sagt Jeremy Anwyl vom Infoportal Edmunds.com. »Europa ist ein großer Markt. Wie kann man ein Global Player sein, ohne eine entscheidende Präsenz dort?«

Das GM-Management will nun bald einen Restrukturierungsplan mit einem Volumen von drei Milliarden Dollar vorlegen, der weniger kosten soll als die Magna-Variante. Noch ist unklar, wie viele Mitarbeiter in den europäischen Ländern betroffen sein werden. Offenbar setzt man auf Regierungshilfen in Europa mit dem Argument, andernfalls würden Tausende von Arbeitsplätzen verloren gehen.

Laut Experten wird die Umsetzung schwierig. »GM muss die Kontrolle der Technologie behalten«, meint Michael Robinet vom Automarktanalysten CSM Worldwide. »Die schlechte Nachricht ist, dass dazu die Operationen in Europa neu strukturiert werden müssen.«

Chronologie

14. November 2008:
Nach Absatzeinbruch und massiven Verlusten ruft Opel als erster deutscher Autohersteller nach einer Staatsbürgschaft.

27. Februar:
Opel will sich von GM abkoppeln. Die benötigten Staatshilfen werden auf 3,3 Milliarden Euro beziffert.

31. März:
Der Bund stellt Unterstützung in Aussicht, aber keinen direkten Staatseinstieg.

23. April:
Fiat will Opel übernehmen. Da die Opelaner dagegen sind, zieht sich der italienische Konzern Ende Mai zurück.

28. April:
Der Autozulieferer Magna legt ein erstes »Grobkonzept« für Opel vor.

12. Mai:
Der Finanzinvestor RHJ International prüft ein Angebot.

27. Mai:
GM kündigt an, sein Europa-Geschäft rechtlich abzuspalten.

30. Mai:
Bund, Länder, GM, Magna und das US-Finanzministerium einigen sich auf ein Rettungskonzept. Der Weg für einen Überbrückungskredit von 1,5 Milliarden Euro sowie ein Treuhand-Modell ist frei.

1. Juni:
GM beantragt Gläubigerschutz. Nach sechs Wochen wird der Konzern aus der Insolvenz entlassen. Mehrheitlich in Staatsbesitz soll GM wesentlich verkleinert überleben.

15. Juli:
Die Bundesländer mit Opel-Standorten favorisieren Magna, weil der Zulieferer weniger Stellen abbauen will.

19. August:
Bund und Länder wollen Kreditzusagen und Bürgschaften für Opel über 4,5 Milliarden Euro vorstrecken, wenn GM sich für Magna entscheidet.

25. August:
Erneutes Opel-Spitzentreffen zwischen Bund, Ländern und GM in Berlin.

10. September:
Der GM-Verwaltungsrat empfiehlt einen Verkauf an Magna. Die Treuhand genehmigt das Geschäft.

14. September:
Die EU-Kommission kündigt eine Prüfung der Beihilfen an. Belgien ist aufgebracht, weil das Werk Antwerpen geschlossen werden soll. Widerstand kommt auch aus Großbritannien und Spanien.

15. Oktober:
Aus Sorge um ein Veto Brüssels legen Magna und GM die Unterzeichnung des Kaufvertrags auf Eis. dpa/ND

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