»Wir wussten nichts.«

Zwei Mal Fernsehunterhaltung bis zur Wende – ein Mal zu Ende

  • Hans Müncheberg
  • Lesedauer: 3 Min.

Vor drei Jahren gab Professor Wolfgang Mühl-Benninghaus eine Publikation mit dem Titel »Drei Mal auf Anfang. Fernsehunterhaltung in Deutschland« als Projekt des Deutschen Rundfunkmuseums im Berliner Vistas-Verlag heraus. Sie widmete sich den Anfängen des Fernsehens in der Nazizeit und den Nachkriegsentwicklungen in Ost- und Westdeutschland bis in die Mitte der 60er Jahre. Trotz einiger Auslassungen eine profunde Quelle fernsehhistorischer Informationen.

Inzwischen ließ Mühl-Benninghaus einen weiteren Band folgen, der die deutsche Fernsehgeschichte bis zum Beginn der 90er Jahre fortschreibt, mit demselben Untertitel, allerdings im Gegensatz zum Vorgängerband leider ohne Fotos, Personenregister und biografischen Hinweisen zu den Autoren. Der methodische Aufbau entspricht jedoch dem Vorgängerband. 20 Interviews mit Spezialisten der Fernsehunterhaltung, auch privater Sender, sind eingebettet zwischen zehn fachlich beschreibende Artikel. Entstanden ist ein Flickenteppich, gewebt aus subjektiven Aussagen und nicht immer zutreffenden Ableitungen. Auch scheint es als unnötig betrachtet worden zu sein, die in den Interviews enthaltenen Angaben auf ihren Wahrheitsgehalt hin zu überprüfen. Selbst in mancher Fragestellung sind bedauerliche Fehler enthalten. »RUND« war eben nicht »die erste Sendung, die in Adlershof von einem jungen Kollektiv für ein jugendliches Publikum entwickelt und produziert wurde«. Der Deutsche Fernsehfunk (DFF) hatte bereits in den 50er und 60er Jahren unterhaltende Sendungen von jungen Leuten für Jugendliche entwickelt und gesendet: nicht nur »Abende der Jugend« und »Basar«, sondern auch »Abends im Klub« (ab 1956), »Hootenanny« mit dem damals jungen kanadischen Musiker Perry Friedman (ab 1961) und »Treff mit Petra« (ab 1962), um nur einige Sendereihen zu nennen. Umso wichtiger wäre es gewesen, sich in den Fachartikeln strikt nur auf stichhaltige Angaben zu stützen. Man hätte sich hier auch eine konsequentere medienhistorisch wertende Bilanz jener Fernsehgeschichte gewünscht, die ab 1990 in Abwicklung mündete.

In der Abhandlung zum »Grand Magazin« der Unterhaltung werden zwar die ab 1963 innerhalb des Wettbewerbs zwischen ARD und ZDF erkannten Programmlinien mit Titeln und Jahreszahlen aufgeführt, für die Programme des DFF aus derselben Zeit gibt es lediglich den pauschalen Hinweis auf »42 verschiedene Unterhaltungsmagazine«, verbunden mit der Behauptung: »Themenübergreifende unterhaltende Fernsehmagazine sind im Programm des Deutschen Fernsehfunks in den 60er Jahren nicht auszumachen.« Hat die Autorin bei ihren Recherchen die Magazinreihen »Rendezvous am Wochenend« (ab 1960), »Schlager einer kleinen Stadt« (ab 1964), »Regenbogen« (ab 1967) und »Schlager einer großen Stadt« (ab 1968) – um auch hier nur einige zu nennen – übersehen? Oder wurden die Reihen, die das Wort Schlager im Titel führten, pauschal zur Schlagermusik gezählt? Richtig, nach dem Prinzip des doppelten Irrtums tauchen sie in der Tat in dieser Rubrik auf.

Auffällig ist, dass die hier vertretenen, aus der DDR stammenden Zeitzeugen, u. a. Heinz-Florian Oertel, Lutz Jahoda, Dagmar Frederic und Frank Schöbel, stets nach westlichen Vorbildern und Einflüssen gefragt wurden, die westlichen Zeitzeugen (Jürgen von der Lippe, Karl Moik, Max Schautzer u. a.) jedoch nicht nach eventuellen östlichen. Die in umgekehrter Himmelsrichtung herrschende permanente Ignoranz wird stillschweigend hingenommen. Man darf Alfred Biolek dankbar sein, der ehrlich feststellt: »Westdeutschland war gegenüber der DDR extrem arrogant und da nehme ich mich nicht aus. Nicht nur was das Fernsehen anbelangt – wir wussten einfach nichts.«

Dazu und zu den bitteren Anmerkungen nahezu aller befragter Ost-Künstler, die den Vergleich der Abwicklung ihrer Abreitsstätten nach 1990 mit einer »feindlichen Übernahme« nicht scheuen, fehlt in diesem Buch jeder Kommentar. Im letzten Artikel des Bandes heißt es nur lapidar: »Der DFF konnte sich nicht als dritte öffentlich-rechtliche Säule etablieren, sondern wurde aufgelöst.« Als ob die Abwicklung die Folge eines Versagens des DFF und nicht der Auftrag von Bundeskanzler Helmut Kohl an den Rundfunkbeauftragten Rudolf Mühlfenzl gewesen wäre.

Dieses Buch ist nicht mit Unterstützung des Deutschen Rundfunkmuseums beim Vistas-Verlag erschienen wie das vorherige, sondern in einem anderen Editionshaus, gefördert durch die Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur.

Wolfgang Mühl-Benninghaus (Hg.): Zwei Mal zur Wende – Fernsehunterhaltung in Deutschland. Avinus Verlag, Berlin. 374 S., € br., 38 €.

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