Rucksacklauf um den Wäldercup

Auf dem 100 Kilometer langen Skiwanderweg von Schonach nach Belchen im Südschwarzwald

  • André Micklitza
  • Lesedauer: 5 Min.

Hundert Kilometer von Schonach nach Belchen in knapp sechs Stunden. Seit 1982 hält Georg Thoma den Rekord beim Skimarathon, der hier »Rucksacklauf um den Wäldercup« heißt: »Ich bin aufgewachsen im Feldberggebiet, und das einzige, was ich wirklich konnte, war das Skilaufen. Das hing sicherlich damit zusammen, dass ich einen zwölf Kilometer langen Schulweg hatte und das Skifahren so automatisch gelernt habe.« Auch 2009 brauchte der Sieger nur eine gute Stunde länger.

Die Schwarzwaldgemeinde Schonach hat sich in einen weißen Mantel eingemummelt. Der Schnee knirscht unter den Füßen. Auch ohne den Blick aufs Thermometer ein untrügliches Zeichen für beste Bedingungen zum vergnüglichen Skilaufen. Käme da nicht gleich zu Beginn der erste Paukenschlag: Ein schroffer Anstieg, der eher der Aufsprungbahn einer Skischanze gleicht, statt einer Loipe. Die rasanten Wechsel von Auf und Ab sind ein Markenzeichen des Fernskiwanderweges. Wenn sich der Wald lichtet, warten oft großartige Landschaftsbilder auf den Betrachter. Jetzt aber wäre Weißwald ein schönerer Name, denn Schnee und Raureif lassen die Fichten wie unter einem Zuckerguss erstarren.

Das Gasthaus »Martinskapelle« rühmt sich einer fast 300-jährigen Geschichte. Das große Schwarzwaldhaus steht auf einer Wiese. Karin und Franz Dold sind die Pächter. Franz trägt einen gezwirbelten Kaiser-Wilhelm-Bart zur Schau, sie das Dirndl – aber nur am Wochenende. Als Spezialität mundet die geräucherte Forelle mit Preiselbeersahnerettich. Wer durchgefroren ist, wärmt sich auf der Bank am grünen Kachelofen. Und Fernskiläufer kommen hier schnell ins Fachsimpeln, einer meint forsch: »Wenn mo bremst, das isch eh nur Energievernichtung!«

Nebenan haben Katharina und Christoph Dold den elterlichen »Kolmenhof« übernommen. Das junge Paar war zuvor neun Jahre auf gastronomischer Lehrwanderschaft. Jetzt haben sie’s drauf, und sind bestrebt, das hohe Niveau zu halten. Dass der berühmt-berüchtigte Räuber Hotzenplotz verrückt nach alten Kaffeemühlen ist, weiß jedes Kind, seitdem er die Großmutter bestohlen hatte. Im Restaurant bekäme der Spitzbube ein Problem: Für welches der 136 schönen Exemplare sollte er sich entscheiden? Alle auf einmal einsacken? Das wäre schwierig geworden.

Draußen greift der Wind in die schwer beladenen Fichten. Und schon fällt wieder eine Schneeladung herab. Im günstigsten Fall raubt sie dem Skiläufer für Momente nur die Sicht. Landet sie genau auf dem Kopf, weiß man wie ein Schneemann fühlen muss.

Vom Gipfel des Brend begrenzt die gezackte Alpenkette den südlichen Horizont, wenn das Wolkenmeer in die Täler absinkt oder die Nebelschwaden verschwinden. In der Umgebung sind noch mehrhundertjährige Weißtannen zu finden. Dem einstigen Charakterbaum des Schwarzwaldes hat die Luftverschmutzung zugesetzt, heute herrschen Fichten vor.

Das Gasthaus »Zur Traube« in Waldau ist nicht zu verfehlen. Eine passable Doppelspur führt geradewegs zum Eingang. »Das war eine Idee des Loipenwarts«, gibt Gastwirt Eugen Winterhalder zu. Und er meint: »Früher waren die Leute in Massen auf dem Fernskiwanderweg unterwegs, heute kommen sie nur noch bei gutem Wetter.« Für die nahe Abfahrtspiste gilt das nicht. Hier herrscht ein Gewimmel wie auf einem Ameisenhaufen in der ersten Frühlingssonne. »Als Alternative zu Abfahrts- und Langlaufskiern sind die historischen Holzschneeschuhe der Renner. Ich sage den Gästen bei der Ausleihe immer, sie stammen aus dem Schwarzwald, aber in Wahrheit habe ich sie aus Restbeständen der Schweizer Armee«, verrät der gewitzte Mann.

Über Hinterzarten führt die weiße Spur zum Feldberg. Die maschinengespurte Loipe endet in einer langgezogenen Kehre nahe des Jägerheims Rinken. Im Naturschutzgebiet Feldberg muss jeder selbst sehen, wie es weitergeht. Ein Hohlweg führt steil bergauf. Im Kartentext heißt es: »... die Skispur, die den fast 1500 Meter hohen Feldberg überquert, ist eines der letzten Abenteuer, die man in Deutschland erleben kann. Probiert haben es schon viele, geschafft haben es nicht alle. Aber ein Aufgeben ist hier nicht ehrenrührig«.

Das klingt nicht sehr ermutigend, zumal Nebel aufzieht. Kaum bleibt der Wald zurück, fegt auf der kahlen Hochfläche eisiger Wind die Schneekörner zusammen und verwischt geschwind alle Spuren der Vorgänger. Die Sicht im Nebel tendiert jetzt gegen null. Die Markierungsstangen sind in den meterhohen Wehen begraben. Als Flachlandtiroler tritt man jetzt vernünftigerweise den Rückzug an.

Zum Pass am Notschrei fährt morgens der Linienbus. Was für ein furchterregender Name für einen gewöhnlichen Bergsattel: Vor über 150 Jahren hatten sich die Gebirgler mit einem »Notschrei« an den Großherzog gewandt. Sie fanden es unerträglich, dass sie Freiburg nur unter größten Mühen erreichen konnten. Eine Straße musste her. Ein Lächeln huscht über die Gesichter der Fernskiläufer, denn ein »Notschrei« am Feldberg blieb ihnen zum Glück erspart.

Die letzten Kilometer sind nur noch ein Klacks. Sanft schweben die Läufer hinunter nach Multen durch watteweichen Schnee.

Infos:
Tourist-Information Schonach, Hauptstr. 6, Tel.: (07722) 96 48 10, www.fernskiwanderweg.de.

Karte: »Fernskiwanderweg Schonach – Belchen« (1:50 000) mit Höhenprofil sowie Streckenbeschreibung.

Literatur: »Skiwandern – Nordic Cruising«, C. Stein Verlag 2009, 7,90 Euro, ISBN 978-3-86686-006-3

Etappen: Schonach-Martinskapelle (15 km) – Waldau (21 km) – Hinterzarten (24 km) – Notschreipass (26 km) – Muggenbrunn (3 km, auch Bus möglich) – Multen/Belchen (14 km)

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