Laut lachen, still traurig sein

Leben gegen den Strom: Erinnerung an Gisela Kraft

  • Matthias Biskupek
  • Lesedauer: 3 Min.
Laut lachen, still traurig sein

Sie war Schriftstellerin, Dichterin, Einmischerin, Übersetzerin und eine auffallende Erscheinung, die große, schwere, blonde Frau, von Schülern auch mal höchst anerkennend »eine geile Alte« genannt. Sie machte gern Lesungen und Dichterwerkstätten. Auf Wunsch sang sie eigene und fremde Gedichte. Sie war harmoniebedürftig wie die meisten Menschen und manchmal so unversöhnlich, wie wenige. Sie war unbequem, nicht nur im lobenden Sinn dieses Wortes, aber auch tolerant, wie es ältere Frauen nicht immer sind.

Die gebürtige Berlinerin Gisela Kraft vom Jahrgang 1936 hatte zunächst Schauspiel und Eurythmie, dann an der Freien Universität Islamwissenschaft studiert und dort zu einem türkischen Dichter promoviert. Über diese Zeit gibt es ein hinreißendes autobiografisches Buch: »Prinz und Python«, vom Zusammenleben einer emanzipierten, linken Kreuzbergerin mit einem chinesischen Studenten. Da werden die verschiedenen Wohnungen der Helden zu wahren Bücherdickichten, Würmer-Kampfbahnen und Mäusedorados, zu Urwald und Asien, zu Boxringen und Bettenschlachtfeldern.

1984 schwamm die Dichterin gegen den allgemeinen Strom: Sie ging von West- nach Ostberlin. Dieser Wechsel hatte kleine politische und große berufliche Gründe: Sie konnte in der DDR vom Schreiben und Übersetzen leben. Ein Manuskript darüber heißt »Mein Leben – ein anderes«. Wenn es denn gedruckt werden sollte, wird man in diesem westöstlichen Diwan Unbekanntes über Schriftstellerkämpfe lesen können. Viel Freund und Feind kommen vor. Letztere erhoben nach 1990 lautstark ihre Stimmen und tönten, ob nicht vielleicht doch die Stasi … ja, die Stasi schrieb Berichte über die Trotzkistin Kraft.

Jahrelang recherchierte die genau arbeitende Schriftstellerin in Oberwiederstedt und Freiberg, in Artern, Dresden und Weißenfels. Sie suchte nach Spuren ihrer literarischen Liebe Novalis. Die Romantrilogie dazu entstand binnen zwei Jahrzehnten. Dieses Leben wurde immer wieder von Gedichten begleitet, die im Berliner Aufbau-Verlag oder bei der Eremiten-Presse in Düsseldorf verlegt wurden. »Matrix«, ihre wichtigste Lyriksammlung, und »Aus Mutter Tonantzins Kochbuch« (Edition Ornament, hrsg. von Jens-Fietje Dwars), ihr letzter Gedichtband, erschienen im Weimarer Jahrzwölft ab 1997, dem vielleicht glücklichsten und produktivsten Lebensabschnitt. Acht Bücher, Lesungen im In- und Ausland. Endlich auch Stipendien und Preise: Der Weimar-Preis 2006, der Wieland-Preis im vergangenen Jahr für ihre Nazim-Hikmet-Nachdichtungen.

Immer mischte sie mit in Literaturverbänden und -gesellschaften – überwarf sich gelegentlich. Sie war engagiertes PEN-Mitglied, jahrelang im Vorstand, stritt dort im Writers-for-Peace-Committee auch auf internationaler Ebene. Sie hatte ein Gespür für dichterische Talente und hielt mit deutlicher Kritik nie hinterm Berge.

Sie hatte uns, ihren Freunden, für die sie regelmäßig einen Künstlerstammtisch organisierte, gesagt, dass sie Krebs hätte. Doch Jammern galt nicht, ein gewisser, wie sie selbst meinte: männlicher Sarkasmus, verbot ihr dies. Sie konnte laut lachen und still traurig sein.

Gestern, an einem kalten, klaren Morgen, ist sie in Bad Berka gestorben.

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