Stahlkönig und Politpate

»Capital Politics« deckt im Hebbel am Ufer die Flick-Connection auf

  • Volkmar Draeger
  • Lesedauer: 3 Min.

Es ist eine Mammut-Arbeit, der sich Hans-Werner Kroesinger unterzogen hat: Für seine Produktion über den Unternehmer Friedrich Flick muss er Berge an Archivmaterial recherchiert haben, um die unheilige Allianz von Kapital und Politik an konkretem Beispiel aufzufächern. »Capital Politics« präsentiert 100 Minuten lang als szenische Dokumentation, wie der Grubenholzhändlerssohn des Jahrgangs 1883 gewieft ein Vermögen macht und unter Hitler zum Stahlkönig avanciert.

Das Stück schildert, wie Flick sich mit perfidem Raffinement im Nürnberger Kriegsverbrecherprozess herauswindet und dann doch behauptet, die KZ-Häftlinge in seinen Werken hätten es besser gehabt als im KZ. Wie er, nur zu sieben Jahren Haft verurteilt, 1950 bereits entlassen, binnen zweier Dekaden erneut ein Imperium aufbaut, das seine Nachfahren in bewährter Weise fortführen. Und wie diese ab 1983 in Parteispenden-Affären versacken. Am Ende, nach dem Verkauf des Industrie-Konglomerats 1985, steht die Hinwendung zur Kunst in Gestalt der (im Hamburger Bahnhof) zugänglich gemachten Flick Collection.

Am Ende des Abends im Hebbel am Ufer aber steht Flicks Bekenntnis, er sehe sich nicht als Kriegsverbrecher. Nicht einmal Kriegsgewinnler sei er, der für die Nazis Geschosse und Geschützte baute, seit 1938 auch Panzer, der damit eine Produktionssteigerung um 73 Prozent erreichte, Umsätze von über 100 Millionen Reichsmark erzielte und das Prädikat »Rüstungsmusterbetrieb« erhielt. Es sei ihm stets nur um das Unternehmerische gegangen, den Nazis habe er liefern müssen: »Ich war aber keine politische Figur«.

Fast erdrückt die Fülle der Fakten, wie fünf Schauspieler sie mit verteilten Rollen vortragen. Valerie von Stillfried hat ihnen dafür eine Mischung aus Ausstellungssaal, Konferenzraum und Traditionszimmer mit Schaukästen gebaut. Im Glasunterbau der hölzernen Tischplatte liegt, womit Flick unter anderem sein Geld verdient hat: brikettierte Kohle. Soziale Marktwirtschaft, sagt er im späten Interview, habe ihm immer vorgeschwebt. Dafür lobt Kanzler Erhard ihn bei der Trauerfeier in höchsten Tönen. Flick selbst erzählt anlässlich eines Firmenjubiläums launig, wie er durch Kauf und Verkauf von Aktien Kapital gewonnen habe.

Immer wieder zitiert die Inszenierung das Nürnberger Tribunal, deckt Schuld auf. Flick indes, der für Göring einen Vortrag zur Arisierung eines jüdischen Unternehmens erarbeitet hat und sich als alleinigen Verhandlungspartner empfiehlt, will Zwangsarbeiter in seinen Betrieben nicht gesehen haben, auch keinen Werkschutz oder Stacheldrahtbarrieren. Fremdarbeiter zu nehmen, sei er gezwungen worden, die Politik war schuld, er nur Befehlsempfänger.

Nach Flicks Tod 1972 umfasst seine Firma als größtes deutsches Wirtschaftsimperium 330 Unternehmen mit 300 000 Beschäftigten und 18 Milliarden DM Jahresumsatz. Die Kapital-Politik-Verquickung funktioniert auch unter Leitung des Sohnes bestens weiter: CDU/CSU, FDP und auch der SPD fließen Spenden zu, offizielle und inoffizielle, gut 25 Millionen zwischen 1969 und 1980. Kohl, Genscher, Lambsdorff, Brandt heißen die Adressaten, bis die Praktik auffliegt. »Geh’n Sie mit der Konjunktur« singt das Hazy Osterwald Sextett, »Hoppla, jetzt komm’ ich« poltert Hans Albers, »Jawoll, meine Herrn« schiebt er mit Rühmann nach.

Lärm aus Betrieben liegt oft über der Szene, deckt Worttiraden zu; eingeblendete Porträts des Flick-Clans werden dreckfleckig. Judica Albrecht, Armin Dallapiccola, Ana Kerezovic, Gotthard Lange und Lajos Talamonti teilen sich in Rollen und Textfluten, tanzen gar im Walzertakt ab. Der Ermüdung bei soviel Material können sie jedoch nicht gegensteuern. Vielleicht hat Kroesinger das sogar beabsichtigt.

Bis 16.1., 20 Uhr, Hebbel am Ufer, Kartentelefon 2590 04 27, www.hebbel-am-ufer.de

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