170 000 Menschen ermordet

Gutachter sagte zum Todeslager Sobibor aus

  • Lesedauer: 2 Min.

München (dpa/ND). Im Prozess gegen den mutmaßlichen NS-Verbrecher John Demjanjuk hat am ersten Verhandlungstag im neuen Jahr ein Gutachter grausame Einzelheiten der nationalsozialistischen Tötungsmaschinierie geschildert. Das Vernichtungslager Sobibor im besetzten Polen, in dem Demjanjuk Wachmann gewesen sein soll, habe allein der Ermordung von Juden gedient, sagte Dieter Pohl vom Institut für Zeitgeschichte der Ludwig-Maximilians-Universität in München am Dienstag vor dem Landgericht München II. Ein geplanter Umbau zum KZ habe nicht stattgefunden.

Rund 170 000 Menschen starben nach Pohls Einschätzung in Sobibor. Dahinter stünden Einzelschicksale, die vielfach nicht mehr rekonstruierbar seien. Vor allem von ermordeten Juden aus Polen und Weißrussland seien bis heute nicht einmal die Namen bekannt. Rund 25 bis 30 Deutsche sowie 100 bis 120 Trawniki-Männer, zu denen Demjanjuk gehört haben soll, seien in Sobibor eingesetzt gewesen.

Der gebürtige Ukrainer ist angeklagt, 1943 bei der Ermordung von 27 900 Juden in den Gaskammern geholfen zu haben. Der gesundheitlich angeschlagene 89-Jährige verfolgte den Prozess erneut reglos liegend auf einem Rollbett, den Oberkörper leicht mit Kissen gestützt. Gleich zu Beginn legte er sich seine blaue Kappe aufs Gesicht und nahm sie auch nicht ab, als Pohl dem Gericht mit Projektionen an die Wand Aufbau und Organisation des Vernichtungslagers mit Gaskammern, Massengräbern und Minenfeldern erläuterte.

Pohl, der am heutigen Mittwoch genauer über die Aufgaben der Trawniki-Männer berichten will, schilderte auch die grauenvollen Zustände bei den Transporten, die viele der Deportieren nicht überlebten. Die Reichsbahn habe die Transporte problemlos übernommen, »obwohl der Zweck der Transporte auf der Hand lag«. Teils in gesonderte Waggons und dann in Arbeitslager kamen »junge, kräftige Männer, von denen schon klar war, die könnte man noch brauchen«. Wer nach Ankunft in Sobibor nicht transportfähig war, sei auf Pferdewagen oder einer Kleinbahn zum »Lazarett« gebracht und erschossen worden. Wer krank wurde, wurde in den Anfängen des Lagers ohnehin gleich ermordet, denn medizinische Versorgung war nicht vorgesehen. Später bekamen Kranke vier Tage Zeit, um gesund zu werden.

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