Immer dem Ball nach – von Aachen bis Bielefeld

Die Deutsche Fußballroute ist eine sportlich-geschichtliche Attraktion des Ruhrgebiets nicht nur im Kulturhauptstadtjahr 2010

  • Walter Schmidt
  • Lesedauer: 5 Min.
Fußball spielt im Ruhrgebiet, Europas Kulturhauptstadt 2010, bis heute eine große Rolle. Der Stolz auf die Helden von damals ist vielerorts spürbar. Städtetouren erschließen Orte früherer Fußball-Herrlichkeit.
Helmut Rahns Denkmal ist bis zum 31.10. in der Heldenausstellung in Hattingen zu sehen, bevor es vor das Essener Stadion zurückkehrt.
Helmut Rahns Denkmal ist bis zum 31.10. in der Heldenausstellung in Hattingen zu sehen, bevor es vor das Essener Stadion zurückkehrt.

Auf Feld 13 des Matthäusfriedhofs in Essen-Borbeck findet sich das Grab eines gewissen Georg Melches. Nun gut, mag man sagen, soll es doch. Aber so kann nur reden, wer für Essen wenig übrig hat. Denn Melches war nicht irgendwer, sondern einer der Gründer des nicht nur im Ruhrgebiet legendären Fußballklubs Rot-Weiss-Essen. Über ein halbes Jahrhundert mischte er dort kräftig mit und erwarb sich einen Ruf als »heimlicher Vater« des Vereins. Melches starb im März 1962.

Elf Stationen ums runde Leder

Seine Grabstätte ist die zweite von elf Stationen einer Entdeckungs-Tour zum Thema Fußball durch Essen. Und die Stadt ihrerseits ist eine von 15 Stationen der »Deutschen Fußballroute NRW«. Die 550 Kilometer lange Ferienstraße zum Thema Kicken beginnt in Aachen, führt über das Rheinland nach Bielefeld und ist einzigartig in Deutschland.

Die Kicker-Tour quert auch das Ruhrgebiet und verläuft dabei in wüstem Zickzack. Denn allenfalls noch im Rheinland knubbeln sich hierzulande derart viele Fußballvereine, die es in den vergangenen hundert Jahren in die Bundesliga geschafft und es dort zu etwas gebracht haben. Der Ruhrpott ohne Fußball – undenkbar.

Städte mit reicher Fußballgeschichte gehören zur Route, darunter Essen, Dortmund, Gelsenkirchen, Oberhausen und Bochum. In jeder dieser Städte gibt es wiederum elf Stationen, darunter wahre Kultstätten für die jeweiligen Vereinsanhänger, aber auch andere Orte, die meist mehr oder minder in Verbindung mit dem lokalen Fußball stehen.

In Essen hat auch die erste Station mit Georg Melches zu tun. Die Spielstätte der Rot-Weissen ist nämlich bis heute nach dem Ehrenvorsitzenden des Traditionsvereins benannt. Eingeweiht wurde sie kurz vor Kriegsausbruch im August 1939 mit einem Spiel gegen Schalke 04. Mit 22 500 komplett überdachten Steh- und Sitzplätzen ist das Stadion das größte in Essen. Vor gut einem halben Jahrhundert, am 8. August 1956, erstrahlte dort erstmals in Deutschland bei einem Fußballspiel eine Flutlichtanlage.

Die Rot-Weissen – heute in der Regionalliga – haben einige Spieler hervorgebracht oder verpflichtet, die manchem gereifteren Fußballanhänger Tränen der Rührung in die Augen treiben. Helmut Rahn und Otto Rehhagel traten hier gegen das Leder, aber auch Manfred Burgsmüller und Frank Mill, Mario Basler und Horst Hrubesch. Vor allem jedoch Willi Lippens, ein deutscher Kicker mit niederländischem Pass, den sie wegen seines watschelnden Gangs auch die »Ente« nannten. Er konnte seine Gegenspieler mit verblüffenden Tricks in den Wahnsinn treiben, ähnlich wie auf Schalke der mindestens ebenso legendäre Reinhard »Stan« Libuda.

Auf den Fußball-Touren wird »sehr anschaulich dargestellt, wie Fußball vom sogenannten Proletensport zum allgemein beliebten Familienerlebnis wurde«, sagt der aus Gelsenkirchen stammende Geograph Dirk Slawetzki, der sich selber als Touren-Anbieter im Ruhrgebiets-Tourismus engagiert. Wichtig findet er die Verbindung der regionalen Montan-Industrie mit dem Fußball, »weil der Erfolg von Schalke 04, Rot-Weiss Essen und anderen Klubs aus dem Ruhrgebiet in den 50er Jahren durch die Unterstützung der lokalen Zechen oder Stahlwerke möglich wurde« – einhergehend mit dem Wirtschaftsboom im Ruhrgebiet zu dieser Zeit. »Da zu der Zeit Profisport beim DFB nicht erlaubt war, hat man den Vereinen geholfen, indem man Ausrüstung, Plätze und dergleichen. zur Verfügung stellte.«

Einst Zeitvertreib des Bürgertums

Dabei war der aus England nach Deutschland sozusagen eingewanderte Fußball anfangs eher ein Sport der Studenten. »Seinen Anfang nahm der Fußball bei uns in Städten wie Karlsruhe oder Berlin, wo relativ viele Engländer lebten«, sagt der in Bottrop geborene Historiker Franz-Josef Brüggemeier, Professor an der Universität Freiburg und Mitglied der 2004 gegründeten Deutschen Akademie für Fußballkultur in Nürnberg. »Fußball war erst einmal ein Zeitvertreib des Bürgertums; zum Arbeitersport wurde er später.«

In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts hatten die Werktätigen nämlich keine Zeit zum organisierten Kicken. »Man brauchte einen freien Samstagnachmittag«, sagt der in Bottrop geborene Fußball-Experte. Doch den hatten Arbeiter in der Regel nicht – und der Sonntag war heilig.

Erst als zu Beginn des 20. Jahrhunderts die Arbeitszeiten etwas verringert wurden, tat sich an Samstagen nachmittags ein Zeitloch auf. »Bergleute hatten damals bereits ungefähr einen 9-Stunden-Tag, weil ihre Arbeit so hart war«, sagt Brüggemeier. »Dadurch hatten sie relativ viel Freizeit und konnten Fußball spielen.«

Nicht umsonst wurden viele Fußballklubs in jenen Jahren gegründet – so etwa der BVB in Dortmund (1909), Schalke 04 (1904) oder eben Rot-Weiss Essen (1907). Auch höhere Löhne und die verbesserten Eisenbahn-Verbindungen unterstützten damals den Fußball-Boom – schließlich wollten die Fans immer öfter Eintrittskarten kaufen und zu Auswärtsspielen anreisen.

Offiziell waren die meisten Profis Bergleute

Die damaligen Fußballer im Ruhrgebiet mussten ihrem Hobby weiterhin neben ihrer Arbeit nachgehen, oft am Hochofen oder untertage. So entwickelte sich bei ihren Anhängern das, was Franz Brüggemeier den »Knappen-Mythos« nennt – die Vorstellung von Männern, die dem Leder trotz ihrer Schufterei in Bergwerken oder Stahlhütten nachjagten. Das war durchaus kein falsches Bild, doch erweckt es den Anschein, als hätte das für alle gegolten – auch die Stars von damals.

Fritz Szepan von Schalke 04 zum Beispiel sei offiziell zwar Bergmann gewesen, doch laut Brüggemeier hat er sein Dasein als vermeintlich schwer schuftender Kumpel selber einmal auf die Schippe genommen. Sinngemäß räumte das Fußballidol der 20er und 30er Jahre ein, die ganze Kohle, die er in seinem Leben gefördert habe, würde nicht einmal ausreichen, um die Wärme einer Kerzenflamme zu ersetzen.

Der »Mythos« der aufrechten, ballverliebten Bergleute ist Brüggemeier zufolge »natürlich trotzdem gepflegt worden, dabei waren das im Grunde alles schon Fußball-Profis«. Freilich nicht im heutigen Sinne.

Den verklärenden Blick auf den Fußball der 50er Jahre findet der Historiker unglücklich. »Die Zeit wird reduziert auf so eine Gemütlichkeit, dabei war das Ruhrgebiet damals die aufregendste und fortschrittlichste Region Europas.« Und die traditionsreichen Fußballklubs seien »Hochleistungsvereine« gewesen, vergleichbar vielleicht mit Inter Mailand oder Real Madrid heute. Und so viel anders sei das auch heute nicht.


Infos: Deutsche Fußball Route NRW e.V., Emscherstraße 71, 47137 Duisburg, Tel.: (0203) 449 96-65, Fax: -47, E-Mail dfr@dfr-nrw.de, www.dfr-nrw.de


Buchtipp: Gregor Gdawietz, Roland Leroi (2007): »Von Aachen bis Bielefeld – Vom Tivoli zur Alm. 15 Städte – 17 Bundesligisten«, 224 Seiten, Verlag Meyer & Meyer, 14,95 Euro

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