Dieses Stück muss nichts müssen

Oliver Klucks »Das Prinzip Meese« im Gorki Studio

  • Anouk Meyer
  • Lesedauer: 3 Min.

»Das Theater braucht dieses Stück nicht!«, hallt es in einer Art Prolog pathetisch aus dem Off, während auf der Bühne Schwaden von Kunstnebel aufsteigen und zwei Gestalten Matratzen auslegen. Und weiter: »Man kann es nicht abonnieren, es gewinnt keine Nachwuchstheaterpreise, es trägt nicht dazu bei, den Lebensunterhalt des Autors zu sichern. Dieses Stück muss nichts müssen!«

Müssen muss Oliver Klucks Stück »Das Prinzip Meese«, einer Zustandsbeschreibung der nicht mehr so jungen Großstadtjugend um die Dreißig, vielleicht immer noch nichts, in (mindestens) zwei Punkten aber hat sich der 1980 auf Rügen geborene Autor getäuscht: Im Frühjahr 2009 erhielt Kluck beim Stückemarkt des Berliner Theatertreffens für eben jenen Text den Förderpreis für neue Dramatik, dotiert mit 5000 Euro und verbunden mit einer Uraufführung im Maxim Gorki Theater. Diese wurde am Montag Abend gezeigt und ging in demselben kokett-ironischen, die Kunst ebenso wie das Leben auf die Schippe nehmenden Tonfall weiter, der auch den Prolog ausmacht und einem entweder liegt oder mit der Zeit auf den Wecker geht. Nichts ist ernst gemeint, das Publikum wird zwar auch mal beschimpft, aber eher im Sinne einer partnerschaftlichen Verschwörung: Ihr wisst schon, wie wir’s meinen, doppelte Ebene und so.

Autor Kluck, der sich laut Selbstauskunft »oft wochenlang überlegt hat, wie die Figuren heißen sollen«, hat sich diese Mühe in seinem drittem Theaterstück nicht mehr gemacht. Seine Protagonisten haben keine Namen, sie sprechen sich, nachdem sie die Bühne in ein Matratzenlager verwandelt haben, einfach mit Anika und Michael an, ihren richtigen Namen. Oder schlüpfen in diverse Rollen zwischen Hedonismus und jungem Konservativem, zwischen onanierendem Dauerfernseher und manischer Thomas Bernhardt-Leserin. Eine Handlung hat dieser Text, den Kluck selbst »ein Stück ohne Stück« nennt, ohnehin nicht, vielmehr ist es ein Dauermonolog, unterbrochen durch kurze Dialogfetzen, ein Wortschwall, eine assoziierende Aneinanderreihung von amüsanten Thesen, Kritik an der eigenen Zukunftslosigkeit zwischen Hartz IV, schlecht bezahlten Hilfsjobs und Einsamkeit, schnell, zynisch, witzig.

Regisseur Antú Romero Nunes, Jahrgang 1983, lässt seinen beiden hervorragend agierenden Schauspielern Anika Baumann und Michael Klammer viel Raum für improvisiert wirkende Flapsigkeit, Gags und Zänkereien. Immer wieder wird das – zumindest bei der Premiere ebenfalls recht junge – Publikum direkt angesprochen, mal als »faule Säcke ohne Protestformen, ohne Kommunikation/ das Schweigen als subtilste Form des Protestes: erbärmlich!« beschimpft, mal in eine Rateshow über die coolsten Sendungen der 90er Jahre einbezogen, die schnell in einen Rundumschlag gegen die TV-Verblödung abkippt. »Den Fernseher hier konfisziere ich jetzt!«, keift sie in schönster Gouvernantenmanier, während er zögerlich nuschelnd den Verteidiger gibt. Es gibt schöne Szenen, in denen die beiden die Stereotypen der Serienklischees pantomimisch aufs Korn nehmen, dann wieder wird die Wichtigtuerei der Kulturschaffenden veralbert oder die Albernheit von Schulaufführungen: Der dunkelhäutige Klammer nasebläst auf zwei Blockflöten »Freude schöner Götterfunken«, während Baumann ihn mit dem Satz »Der Mohr hat seine Schuldigkeit getan« aus der Szene drängt. Und gleich darauf »Tschuldigung« lacht, mit viel Schalk in den Augen, während er sich aufregt: »Ja, jetzt machen wir vielleicht noch ein paar Ausländerwitze!« Und das Publikum soll rätseln: Ist das jetzt ernst gemeint oder nicht? Spielen die beiden zwei Kunstfiguren namens Anika und Michael, oder sind die in echt so?

Dieses Spiel mit der Doppelbödigkeit des Theaters wird arg oft strapaziert, auch nervt auf Dauer der kokette Ton dieser Abrechnung mit der verwirrten »Lost Generation«. Es gibt einige Längen und unnötige Abschweifungen, andererseits steckt so viel Witz und Wahrheit in dem losen Mix aus Prosa, Poesie und Alltagsdialogen, dass man diese gut verzeihen kann.

Wieder 19.2., 2./17./23.3., 20.15 Uhr; Gorki Studio Berlin, Hinter dem Gießhaus 2, Mitte, Tel. 20 22 11 15

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