Zwischen den Welten

Berlinale-Preis: Label Europa Cinemas für »Die Fremde«

  • Lesedauer: 4 Min.

Von Angelika Kettelhack      

Umay ist eine Schande für ihre Familie. Sie ist die Fremde, ganz wunderbar zart und zugleich eigensinnig gespielt von Sibel Kekilli, die seit Fatih Akins Film »Gegen die Wand« zur ersten Klasse der türkisch-deutschen Schauspielerriege zählt. Mit dem Titel ihres Films kann die österreichische Regisseurin Feo Aladag aber auch »Die Fremde« meinen, ein Land, in dem man noch nicht angekommen ist. Denn Umay ist weder in der Türkei noch in Deutschland zu Hause. Aus Istanbul flieht sie vor ihrem gewalttätigen Mann mit dem kleinen Sohn Cem nach Berlin, wo sie zwar aufgewachsen, aber auch nicht mehr willkommen ist. Denn eine alleinstehende Frau mit einem Kind gilt als Hure, zumindest in den türkischen Kreisen, aus denen Umay stammt.

Und so droht ein »Ehrenmord«, den wir zwar aus den Schlagzeilen kennen und doch als »wohlanständige« Mitteleuropäer nicht verstehen können. Unserem Denken entsprechend kann kein Mord ehrenvoll sein. Erst recht nicht, wenn er an einer jungen Frau begangen werden soll, nur weil deren Lebensweise nicht mehr zu den atavistischen Vorstellungen ihrer türkischen Umgebung passt. Was wir kennen, ist die Abscheu, die Empörung über diese Morde. Was wir nicht kennen, das sind die Menschen, die meinen, solche Morde begehen zu müssen: Türken oder Kurden, die in Deutschland leben, also eigentlich Nachbarn von uns sind. Feo Aladag präsentiert ihre Protagonisten nicht von außen, sondern gönnt uns zum besseren Verständnis einen Blick aus den Augen einer türkischen Familie auf die »Ehre« und ihre Folgen.  

Die in Berlin lebende Regisseurin Feo Aladag, 37, selbst Schauspielerin und in Wien promovierte Kommunikationswissenschaftlerin, hat »Die Fremde« zusammen mit ihrem Mann Züli produziert. Züli Aladag sorgte schon 2006 durch sein Integrations-Drama »Wut« (mit Corinna Harfouch, Oktay Özdemir und August Zirner) für kontorverse Diskussionen, trug aber letzten Endes auch zum besseren Verstehen türkischer Verhaltensweisen bei. Feo Aladag lässt als Regisseurin und Drehbuchautorin für keine Minute Zweifel aufkommen: Die türkische Familie liebt ihre Umay, knurrig der Vater, verhalten die Mutter, zärtlich der kleine Bruder, besitzergreifend der ältere. Aber dass Umay ihren Mann verlassen hat, das geht nicht. Man trennt sich nicht in dieser türkischen Schicht, mit der Herkunft aus den Dörfern der Provinz, deren archaische Regeln noch aus der bäuerlichen Not stammen: Jeder braucht jeden im Dorf, jeder beobachtet jeden, und keiner darf wesentlich anders sein als der andere. Also soll sie zurückgehen, die schöne Umay, die doch Berlin mit ihren kleinen Sohn ein anderes und für sie alltäglicheres Leben erhofft.

Es wäre so einfach, wenn auch für sie die mitteleuropäischen Regeln gelten würden, wenn sie ihren deutschen Arbeitskollegen heiraten könnte und sich dafür nicht von der geliebten Familie trennen müsste. Aus dem Frauenhaus, in das sie vor der Brutalität ihres älteren Bruders und seiner Freunde geflüchtet ist, kehrt sie trotz eindringlicher Warnung: »keine Kontakte zur Familie, das ist gefährlich«, immer wieder verzweifelt in ihr Elternhaus zurück. Solidarität erfährt sie von einer Freundin, dargestellt von Alwara Höfels, die so blond und so deutsch ist wie die Kekilli dunkel und türkisch. Gibt es sie eigentlich, die Freundschaften zwischen Türken und Deutschen? Selten genug. Und es tut gut, dass der Film uns daran erinnert. Großes Verständnis beweist auch die Chefin des Catering-Service, in dem Umay Arbeit gefunden hat. Nursel Köse (bekannt aus Akins »Auf der anderen Seite«) spielt hier eine in Deutschland noch unbekanntere Sorte Türkin: selbstbewusst, weltgewandt und char- mant,  so wie es sie in den großen türkischen Städten gibt.

Zu gern behandeln die einschlägigen Medien den Ehrenmord nach dem immer gleichen Schema: Türkische Frau wird unterdrückt, türkischer Mann ist der Übeltäter. Dass der Ehrenmord auch Komplizinnen kennt, so wie in »Die Fremde« die eigene Mutter, die am Komplott beteiligt ist, und auch die eigene Schwester, deren dumme, aber nicht unverständliche Sehnsucht nach einer ehrbaren Heirat den Mordplan auslöst, schildert Aladags Arbeit eindringlich und ohne plakative Verurteilung. Ihr Film erzählt von der Fremdheit der Kulturen, die mitten durch einen einzigen Menschen gehen kann, auf sehr berührende Weise. 

Wenn beim Zuschauer die Weinkrämpfe überwunden sind und das nüchterne Denken wieder einsetzen kann, wird klar: Fast drei Millionen Menschen aus der Türkei leben bei uns. Wir haben sie mal zum Arbeiten nach Deutschland geholt – meistens zu einer Drecksarbeit, die hier keiner machen wollte. Sie haben Anteile an unserem Bruttosozialprodukt erwirtschaftet. Davon wollen sie jetzt auch mit Recht profitieren, und deshalb verweilen sie in dem Land, das ihnen so fremd geblieben ist. In einem Land, in dem die Islamophobie noch stärker ist als die mühsam übertünchte gewöhnliche Xenophobie, ist Feo Aladags Film ein unerlässlicher Beitrag zum Verstehen der so sehr anderen Mentalität. Ausgezeichnet mit dem Label Europa Cinemas.

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