Durchhalten! Wir siegen »auf der Zeitschiene«

Sogar altgediente Bundeswehr-Kommandeure halten die Afghanistan-Versprechen der Regierung für parlamentarisches Laien-Geplapper

  • René Heilig
  • Lesedauer: 5 Min.
Heute wird der Bundestag ein neues Mandat zur »Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an dem Einsatz der internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe in Afghanistan« beschließen.
Statt Friedensgesprächen nur das Hoffen auf die kampfstarken US-Gebirgsjäger.
Statt Friedensgesprächen nur das Hoffen auf die kampfstarken US-Gebirgsjäger.

Es eilt! Papier ist geduldig, die Regierung nicht, sie braucht Erfolge, zumal die Mehrheit der Bevölkerung Schluss machen will mit dem deutschen Einsatz. Also kommt man uns erfahrungsgemäß wieder moralisch mit »den Menschen« in Afghanistan, die man nicht im Stich lassen dürfe.

So ein Mensch, der nicht im Stich gelassen werden will, ist Mohammad Omar. Doch er will noch mehr. Er will seine Macht behalten als Gouverneur von Kundus. Daher tönt er, dass die Bundeswehr schon bald eine machtvolle Offensive starten wird, die nicht eher endet, bis der letzte Taliban vertrieben ist. Sein Machtgetöse ist absurd – angesichts der Möglichkeiten der Bundeswehr.

Initiative liegt bei den Aufständischen

Sieben Seiten misst der Antrag der Bundesregierung, der den Parlamentariern zur Abstimmung vorliegt. Auch bei genauestem Lesen kann man das Wort »Zeitschiene« nicht entdecken. Umso öfter hört man es aus dem Mund von Bundeswehr-Generalen. Immer dann, wenn sie ihre Stellung als Führer einer Parlamentsarmee unterstreichen und zugleich deutlich machen müssen, was unmöglich ist, setzen sie etwas »auf die Zeitschiene«. Was nur bedeutet: Man verlagert alles in eine mehr oder weniger ferne Zukunft.

So ist das auch mit Vorgaben der neuen, auf der Londoner Konferenz Ende Januar abgestimmten Afghanistan-Strategie. Der heute zu fassende Parlamentsbeschluss verlangt, dass die Bundeswehr sich vor allem um den »Schutz der Bevölkerung« verdient macht. Zugleich müssen die deutschen Soldaten »Unterstützung für den Aufbau funktionsfähiger, afghanischer Sicherheitskräfte durch Ausbildung, Mentoring, Ausrüstungsunterstützung und Partnering« geben.

Für die Kommandeure heißt das, sogenannte Ausbildungs- und Schutzbataillone aufzustellen. Natürlich »auf der Zeitschiene«. Denn, so der Chef des Einsatzführungskommandos Generalleutnant Rainer Glatz, man habe »gerade erst mit der Planung begonnen« und könne nicht einfach »einen Schalter umlegen«. Es sei nicht einfach, die 5100 im Norden stationierten afghanischen Soldaten zu drillen und im Kampf zu begleiten.

Schon gar nicht, wenn man selbst unter Druck ist. In dem Land am Hindukusch haben sich die »sicherheitsrelevanten Vorkommnisse« seit 2005 von Jahr zu Jahr verdoppelt. Auch wenn davon 90 Prozent auf die Regionalkommandos im Süden und Osten entfallen und die deutsch-kommandierte Nordregion ganze 4,1 Prozent Bedrohung abbekommt, registriert man dort ebenso die zunehmende Stärke der aufständischen Gruppen. »Sie beherrschen das gesamte Spektrum des asymmetrischen Kampfes«, tragen »kombinierte Angriffe« vor und zwingen deutsche Truppen in »lang anhaltende Feuergefechte«. Die Region um Kundus – wo Mohammad Omar Propaganda-Lautsprecher spielt – war bis 2001 eine Hochburg der paschtunischen Bevölkerung, in die sich nicht einmal die Truppen der Nordallianz trauten. Hier wird es für die Bundeswehr besonders eng. Man kann sich, so berichten Kommandeure, kaum noch aus dem Camp wagen. Das Lagebild im Potsdamer Einsatzführungskommando macht deutlich: Die militärische Initiative geht eindeutig von den Aufständischen aus.

Um die Forderung nach Ausbildungs- und Schutzbataillonen zu erfüllen, benötigen die Infanterieeinheiten dringend Pioniere. Nur mit denen kann man in der Fläche und natürlich »auf der Zeitschiene« Einsatzbasen schaffen, um 30 oder mehr Tage irgendwo im Distrikt Präsenz zu zeigen. Das Risiko bleibt hoch und es ist keinesfalls sicher, dass man den Gegner auf diese Weise verdrängen kann.

Natürlich weiß General Glatz, dass »die US-Kriegsführung nicht immer die glücklichste ist«. Dennoch begrüßt er »außerordentlich«, dass ab Mitte 2010 rund 5000 US-Soldaten im deutschen Sektor eingesetzt werden. Glatz hofft, so »deutsche Defizite durch US-Verbände auszugleichen«.

US-Entlastung dringend erwartet

Die Amerikaner werden sieben Stützpunkte errichten. Wo, haben sie den deutschen Befehlshabern nicht gesagt. Am Montag kamen die ersten alliierten Erkundungsteams an. Die Bundeswehrführung hofft, dass sich die Soldaten der 1. Brigade Combat Team einer US-Gebirgsdivision, die samt einer Transport- und einer Kampfhubschraubereinheit in den Norden verlegt werden, sich vereinbarungsgemäß der deutschen Befehlsgewalt unterstellen. Eine Zusage dafür hat Glatz – aber nur vom neuen US-Botschafter in Berlin. Im erwarteten Fall von Ungehorsam wird die nichts nützen.

Die deutschen Militärs haben Erfahrungen gesammelt und wissen, dass man »mit Soldaten immer nur Zeit gewinnen kann«. Für politische und sozialökonomische Lösungen. Und daher sehen sie es gar nicht gern, wenn man von einem Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr statt von einem Einsatz der Bundesrepublik spricht. Damit verweisen die Einsatzoffiziere auf den zweiten wesentlichen Punkt der neuen, im NATO-Bündnis abgestimmten Afghanistan-Strategie: die Verdopplung der Mittel für den Wiederaufbau. Ja, es sei richtig, den zivilen Pfeiler zu stärken, sagt ein erfahrener Offizier, der auch für die zivil-militärische Zusammenarbeit zuständig ist. »Doch es nützt nichts, mehr Geld zu haben, solange man nicht auch mehr Personal für sinnvolle Projekte hat, die der Bevölkerung tatsächlichen Nutzen bringen.«

Die Erkenntnis ist auch in der Bundeswehr so neu nicht. Aber eben auch nur eine, die man »auf die Zeitschiene« setzen kann.


Bundeswehr ist komplett global orientiert

  • Die Bundeswehr sieht sich gern als »Armee im Einsatz«. Dennoch hört man immer wieder, dass man in Sachen Auslandseinsatz an der Grenze dessen angekommen ist, was die Truppe verkraftet. 850 Soldaten mehr nach Afghanistan zu schicken, sei eine Herausforderung.
  • Zu Beginn dieser Woche waren 6744 Bundeswehrsoldaten im Auslandseinsatz. Das klingt nicht nach Überforderung, gemessen an einer Truppenstärke von 250 000 Männer und Frauen. Doch die Rechnung ist unvollständig. Die rund 7000 Soldaten im Ausland muss man um 7000 ergänzen, die sich in der Nachbereitung von Einsätzen befinden. Hinzu kommen 7000, die vorbereitet werden.
  • Entsprechend viele Ausbilder werden gebraucht sowie Personal für Übungs- und Schießplätze. Zudem hält man für Kosovo-Eventualitäten ein zusätzliches Eingreifbataillon in Reserve.
  • Rund 1000 Soldaten sind für die NATO-Response-Force abgestellt, ebenso viele für die EU-Battle-Group. Alle Kampftruppen brauchen Logistik- und Führungsunterstützung.
  • Unterm Strich bleibt die traurige Tatsache: Die Bundeswehr ist eine Armee, die fast ausschließlich auf weltweite Einsätze fixiert ist.
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