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Türkischer Ärger über die USA

Kongressresolution benannte Massaker an Armeniern als Völkermord

  • Jan Keetman, Istanbul
  • Lesedauer: 4 Min.
Eine Völkermord-Resolution des US-Kongresses zur Verfolgung der Armenier im Osmanischen Reich erschüttert die Beziehungen der Türkei zu Washington. Der türkische Außenminister Ahmet Davutoglu warf der Regierung von US-Präsident Obama am Freitag vor, nicht genug gegen die Resolution unternommen zu haben.

Nachdem der Auswärtige Ausschuss des US-Kongresses am Donnerstag mit knapper Mehrheit eine Resolution angenommen hatte, die von einem Völkermord an den Armeniern im Osmanischen Reich spricht, herrscht in Ankara Alarmzustand. Der eigene Botschafter wurde aus Protest aus Washington zurückgerufen und der US-Botschafter ins türkische Außenministerium zitiert.

Staatspräsident Abdullah Gül sprach von einer »unvernünftigen Entscheidung«, die das türkische Volk nicht achten werde. Etwas drohend fügte er hinzu: »Für die negativen Folgen, die diese Abstimmung auf jedem Gebiet haben kann, wird die Türkei nicht verantwortlich sein.« Der US-Kongress müsse einen »historischen Fehler« berichtigen, zitierten türkische Medien Parlamentssprecher Mehmet Ali Sahin.

In der Resolution, die keinen bindenden Charakter hat, wird US-

Präsident Barack Obama aufgefordert, die »systematische und vorsätzliche Auslöschung von 1,5 Millionen Armeniern klar als Völkermord zu qualifizieren«. Außerdem soll die Erinnerung an dieses Ereignis im ersten Weltkrieg zu einem Teil der US-Außenpolitik werden.

Ähnliche Resolutionen werden jedes Jahr vor dem 24. April vorgelegt. Dieser Tag markiert aus armenischer Sicht mit der unerwarteten Festnahme von Hunderten armenischer Intellektueller in Istanbul im Jahre 1915 den Beginn des Völkermordes. Von den an diesem Tag Verhafteten haben die wenigsten den Krieg überlebt. Außerdem starben Hunderttausende von Armeniern bei nachfolgenden Deportationen. Der deutsche Konsul in Aleppo schrieb damals an die deutsche Botschaft, seit 24 Tagen würden Leichen im Euphrat treiben, Rücken an Rücken gefesselt, erst Männer, dann auch Frauen und Kinder.

In der Türkei lernen die Kinder in der Schule, dass nicht der osmanische Staat die Minderheit verfolgt habe, sondern dass armenische Banden den Türken in den Rücken gefallen seien und Muslime ermordet hätten. Deshalb sei die Deportation notwendig gewesen, wobei wegen der allgemeinen Kriegslage dann auch Armenier gestorben seien. Die Zahl der Opfer ist außerdem stark umstritten.

Die Abwehr der Vorwürfe ist in der Türkei mittlerweile Routine, wobei das Hauptziel ist zu verhindern, dass die Resolution auch in der Vollversammlung des Kongresses zur Abstimmung kommt. Regelmäßig bereist eine türkische Delegation vor der Abstimmung die USA und führt Gespräche, in denen vor allem die Wichtigkeit der Türkei als Verbündeter für die USA betont wird.

In diesem Jahr konnte auch ein neues Argument gebracht werden. Die Annahme der Resolution, so hieß es, würde die armenisch-türkisch Annäherung gefährden, die mit der Unterzeichnung der Protokolle von Zürich manifest geworden sei. In diesen ist unter anderem ein Ende der türkischen Grenzblockade gegen Armenien vorgesehen sowie die Einrichtung einer Historikerkommission. Doch die Türkei weigert sich, die Protokolle zu ratifizieren, so lange Armenien im Konflikt um Nagorny Karabach dieses und weitere Teile Aserbaidshans besetzt hält.

Obama ist auf die türkische Strategie eingeschwenkt, hat aber in einem Telefongespräch mit Gül darauf gedrängt, dass die Protokolle von Zürich ratifiziert werden. Das würde es ihm erleichtern, die Abstimmung im Kongress zu verhindern. Für Obama ist das nicht ganz einfach, denn er hatte im Wahlkampf den Armeniern zugesagt, die türkischen Massaker während des ersten Weltkrieges an ihrem Volk als Völkermord zu bezeichnen, wenn er US-Präsident sei.

Doch in Ankara denkt man nicht daran, die Protokolle zu unterschreiben. Bisher hat das außenpolitische Kalkül in den USA noch jedes Mal über das historische Gewissen triumphiert. Sollte sich allerdings der Kongress diesmal nicht von der eigenen Regierung überzeugen lassen, so stehen ernste Zeiten in den Beziehungen zur Türkei bevor. Dies nicht, weil die Türkei alle Drohungen unbedingt wahrmachen wird, sondern weil das Verhältnis ohnehin zunehmend komplizierter wird.

Der allmählich schärfer werdende Konflikt zwischen Israel und der Türkei sowie die Ungewissheit, ob Ankara neue Sanktionen gegen Iran wegen dessen Atomprogramm mittragen wird, sind Anzeichen dafür, dass auch ohne Völkermordfrage schwierige Tage in den türkisch-US-amerikanischen Beziehungen bevorstehen.

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