Eher Koch als Raubtier

Bratspieß und Kessel als Triebkraft der Menschwerdung

  • Walter Schmidt
  • Lesedauer: 4 Min.

Wenn Richard Wrangham Recht hat mit seiner These, wir seien ganz wesentlich durchs Kochen zu modernen Menschen herangereift, dann sind große Teile der Menschheit wieder auf dem Weg zurück: Sie stehen gar nicht mehr selber am Herd, sondern essen in Kantinen oder stopfen sich unterwegs und auf die Schnelle fertig Zubereitetes in den Mund.

Natürlich wäre diese Lesart Unsinn. Denn der Professor für biologische Anthropologie von der renommierten Harvard-Universität in Cambridge (USA) meint nicht das selbstständige Hantieren an Kochtopf und Bratpfanne, sondern die Aufnahme gegarter statt roher Kost. Dieser Fortschritt mit Hilfe des gezähmten Feuers habe uns zu dem gemacht, was wir inzwischen sind.

Gekochte und dadurch quasi vorverdaute Nahrung lässt sich in der Tat leichter und schneller verspeisen. Sie enthält zudem ihre Nährstoffe in weitaus besser aufgeschlossener und damit einfacher zu verwertender Form, führt der Anthropologe in seinem auch für Laien leicht verständlichen Buch aus. Das wiederum habe den Energie zehrenden Magen-Darmtrakt des Menschen im Vergleich zu dem der noch immer von roher Kost lebenden Menschenaffen deutlich schrumpfen lassen. Die dadurch eingesparte Verdauungsenergie sei nun frei gewesen, um von einem immer komplexer werdenden Hirn verbraucht zu werden.

Nur so – und nicht etwa durch das Verspeisen wachsender Mengen rohen Fleischs – konnten sich unsere heutigen Hirne ohne zusätzlichen Energieaufwand entwickeln, legt Wrangham dar. »Sicherlich war der Verzehr von Fleisch ein wesentlicher Faktor bei der Evolution und Ernährung des Menschen, aber er wirkte sich weniger stark auf unseren Körper aus als das Kochen.« Reine Rohkost tue dem Menschen »nicht besonders gut«, weshalb es auch keine Kultur gebe, die sich ausschließlich davon ernähre. »Menschen mit dem heutigen Körperbau hätten in den letzten zwei Millionen Jahren unmöglich allein von Rohkost leben können«, befindet Wrangham und kommt zu dem Schluss: »Wir sind eher Köche als Raubtiere.« Es sei »kein Wunder, dass man mit reiner Rohkost so gut abnehmen kann«. Als Diät mag das angehen, den Steinzeitmenschen jedoch hätte es umgebracht.

Denn die Alternative, noch mehr Nahrungsenergie durch ungekochte Früchte und Wurzeln aufzunehmen, um sich ein leistungsfähigeres Hirn quasi als Luxus-Ausstattung zuzulegen, hätte die sehr auf Sparsamkeit bedachte Evolution höchstwahrscheinlich hart bestraft – wir wären unserer Nahrungskonkurrenz unterlegen und in Hungerzeiten ausgestorben.

Doch nicht nur unser Denkapparat sei die Folge gegarter und besser verdaulicher Nahrung, meint Wrangham. Zudem habe das Kochen das Zusammenleben frühmenschlicher Gruppen dramatisch verändert – vor allem durch eine erstmals mögliche gemeinsame Mahlzeit am Abend. Zuvor habe sich jeder gerade das in den Mund gestopft, was er oder sie unterwegs gefunden hatte.

Noch heute sind Menschenaffen täglich mehrere Stunden lang mit dem Zerkauen von Blättern, Früchten und Knollen beschäftigt – eine Zeit raubende und selber Energie zehrende Angelegenheit, die sich mit einem Acht- oder Zehn-Stunden-Tag im Büro oder in der Fabrik kaum je hätte vereinbaren lassen.

Das Kochen habe den Menschen von der Kauarbeit befreit; sie »benötigen für das Kauen ihrer Nahrung nur ein Fünftel bis Zehntel der Zeit, die Menschenaffen dafür brauchen«. Nämlich ungefähr eine Stunde, oft sogar weniger. Das lässt Zeit für die Jagd, für Handwerk und künstlerisches Schaffen. Und erstmals in der Geschichte der Menschheit konnten sich Menschen zu bestimmten Zeiten fürs Mahl, zu Essenszeiten, versammeln.

Gezähmt worden sei das Feuer für Kochzwecke früher als bisher angenommen, schreibt der US-Forscher. Schon der »Homo erectus« (der »aufrechte Mensch«) vor 1,8 bis 1,9 Millionen Jahren habe das Garen der Nahrung erfunden. Das mag zufällig geschehen sein, indem ein roher Tierschlegel, der nahe beim Lagerfeuer lag, zufällig gegart und danach als sehr schmackhaft befunden wurde.

Von da an nahm die Geschichte ihren Lauf. Der Mensch veränderte sich, seine Kiefer wurden schmaler, seine Kaumuskulatur schwächer, und sein Magen-Darm-Trakt bildete sich zurück und wurde zum Energiesparer. Zoologen könnten vom Menschen statt vom zweibeinigen heute ebenso gut vom »kleinmundigen Affen« sprechen, befindet Wrangham. Seine gut begründeten Thesen und der Umgang mit Gegenargumenten machen es wahrscheinlich, dass der Harvard-Professor den Mund nicht zu voll genommen hat.

Richard Wrangham: »Feuer fangen. Wie uns das Kochen zum Menschen machte – eine neue Theorie der menschlichen Evolution«, Deutsche Verlags-Anstalt, 299 S., 22,95 €.

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