Alles, nur keine Schokolade

Berlins größtes Frauenzentrum feiert Jubiläum der Genossinenschaft / Tag der offenen Tür am 1. Mai

  • Nissrine Messaoudi
  • Lesedauer: 4 Min.
Alles, nur keine Schokolade

Denkt man an eine Fabrik, hat man in der Regel nichts Schönes vor Augen. Ganz anders hingegen bei der Schokoladenfabrik im Stadtteil Kreuzberg. Was einst tatsächlich eine Schokoladenfabrik war, ist heute Berlins größtes Frauenzentrum. In diesem Jahr feiert es das fünfjährige Jubiläum der Genossinenschaft eG. Im nächsten Jahr zelebriert der Verein sein 30-jähriges Bestehen.

Schon am Eingang des rund 1000 Quadratmeter großen Zentrums erkennt man, dass es hier um mehr geht als »nur« um Freizeitangebote. Links und rechts an den Wänden der Toreinfahrt kleben wild neben-, unter- und über einander Flyer, die über Weiterbildungsangebote oder Wohnungsgesuche informieren. »Das schwarze Brett ist uns sehr wichtig, damit können sich Frauen gegenseitig helfen«, erklärt Renate Witt, die seit 1993 die Schoko verwaltet.

Dieser Solidaritätsgedanke zieht sich wie ein roter Faden durch die Geschichte der Schokofabrik. »Das Zentrum entstand 1981 als ein Projekt der feministischen Frauenbewegung. Die Interessen und Ziele von damals existieren bis heute«, so Witt. Das Ziel sei die Förderung und Stärkung von Frauen jeglicher Herkunft und sexueller Orientierung. Die Interessen sind vielfältig. So bietet das Zentrum kostenlose Beratungsangebote, Deutschkurse für Migrantinnen, Seminare und Freizeitangebote – alles was Frau interessiert.

1980 entdeckten Frauen aus der feministischen und autonomen Szene die leerstehenden Fabrikgebäude der ehemaligen Schokoladenfabrik »Greiser und Dobritz«. Zu diesem Zeitpunkt waren die Gebäude vom Abriss bedroht. 1981 wurde das Areal besetzt und anschließend größtenteils von Frauen aufgebaut. Mit der Fertigstellung des Gebäudes etablierten sich nach und nach die noch heute bestehenden Teilbereiche des Frauenzentrums.

Im ersten Stock des Gebäudes befindet sich der Verein Schokospäne. In dieser Werkstatt können Mädchen und Frauen an drei Terminen pro Woche ihre eigenen Möbel entwerfen und bauen. Zwei Fachkräfte helfen bei der Umsetzung. Die vielfältigen Angebote der Schoko wären jedoch ohne ehrenamtliches Engagement und zusätzlich geförderten Stellen durch das Arbeitsamt nicht möglich. Bestes Beispiel dafür ist der Mädchentreffpunkt. Vor allem Mädchen aus türkischstämmigen Familien werden im Treff mit Nachhilfeangeboten betreut. »Wir begleiten die Schülerinnen durch das Abitur und sogar bis zum Studium.« Damit die Einzelne in der Gruppe nicht unter geht, werden die Mädchen einzeln unterrichtet. Das erfordert viel Personal: Drei Festangestellte, zwei öffentlich geförderte Stellen und elf ehrenamtliche Helferinnen stehen hierfür zur Verfügung.

Seit den 80er Jahren ist die Einbeziehung von Migrantinnen ein Schwerpunkt des Zentrums, »denn türkische Mitbürgerinnen gehören schließlich zu Kreuzberg«, sagt Renate Witt. Damals bot man den Frauen Alphabetisierungs- und Deutschkurse an, da viele aus sehr einfachen Verhältnissen stammten und kaum eine Bildung in der Türkei genossen. Heute ist es anders, Alphabetisierungskurse gibt es nicht mehr, doch Deutsch und Integrationskurse sind noch nötig.

Um den interkulturellen Dialog zu fördern eröffneten die Schoko-Frauen 1988 zusätzlich das integrierte Hamam, ein türkisches Dampfbad. Es sollte das erste in Europa werden. »Auf einmal kamen traditionelle türkische Frauen mit Lesben zusammen. Das sorgte anfangs für Missverständnisse, die aber durch Dialog beseitigt werden konnten«, erklärt Witt mit einem Lächeln auf den Lippen. Nach den anfänglichen Schwierigkeiten ist das orientalisch gestaltete Bad zu einer Berliner Attraktion geworden.

»Mit Beratung, Hamam, Sport, Bildung und Kita wollten wir ein Rundum-Paket für Frauen.« Auch wenn die Schokofabrik bei Problemen nicht direkt helfen kann, »wir sind mit anderen Fraueneinrichtungen vernetzt, wir schicken keine Frau weg, ohne ihr zumindest eine Adresse zu geben.«

Doch auch die Schokoladenfabrik braucht Hilfe. Um die Angebote des Zentrums zu sichern hat sich 2005 eine Genossinnenschaft gegründet, die der Fabrik die Räumlichkeiten zu günstigen Konditionen zur Verfügung stellt. 2004 wurde der Kaufvertrag zwischen der Gemeinnützigen Siedlungs- und Wohnungsbaugesellschaft (GSW) und der Genossinnenschaft Schokofabrik sowie den 14 Eigentümerinnen des Frauenwohnprojekts unterzeichnet. Damit gingen die vier Häuser der Mariannenstr. 6 und Naunynstr. 72 in Frauenbesitz über. »Mittlerweile haben wir 100 Mitglieder, aber wir freuen uns über jede, die hinzu kommt«, versichert Margrit Schnelle Vorstandmitglied der Genossinenschaft. Ab einem Betrag von 500 Euro kann Frau einen Teil der Immobilie erwerben. Wer nicht ganz so viel Geld hat, kann für 2,50 Euro im Monat das Zentrum unterstützen. Auch Hilfe von Männern wird nicht abgelehnt. Wer vorher das Frauenzentrum unter die Lupe nehmen möchte, kann dies am 1. Mai tun. Am Tag der offenen Tür sind Männer willkommen.

www.schokofabrik.de

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