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Boxring statt Schlagring

Friedensschlag - von Gerardo Milsztein

  • Alexandra Exter
  • Lesedauer: 3 Min.

Die Worte »München« und »gewaltbereite Jugendliche«, in einem Satz vereint, lassen wenig Gutes ahnen. Zivilcourage, die mit Tritten bis zum Tod bestraft wird, höfliche Einsprüche auf U-Bahnsteigen, die mit Kopfstößen enden, Opfer, die schon am Boden liegen und trotzdem noch drangsaliert werden – wenn die Begriffe »München« und »gewaltbereite Jugendliche« zusammen in den Medien auftauchten, war der Kontext in den letzten Jahren meist höchst kulturpessimistisch.

Dieser Artikel ist eine Ausnahme. Denn hier werden auf die Worte »München« und »gewaltbereite Jugendliche« zwar auch Wörter wie »sozial schwach«, »Strafvollzug« und »Intensivtäter« folgen, und beinahe unvermeidlich das immer gern verwendete »Migrationshintergrund«. Aber es werden auch die Begriffe Schulabschluss, Hoffnung, Disziplin und Selbsterkenntnis fallen. Zwar gehören die straffälligen Jungmänner, um die es in diesem Film geht, auch zu denen, die um sich schlagen wegen jeder Nichtigkeit und die eigenen Gewaltausbrüche problemlos vor sich selbst rechtfertigen können. Deren einzige »Erkenntnis« im Leben die ist, dass »ein netter Mensch nicht weit« kommt, jedenfalls nicht in dem Teil der Gesellschaft, den sie aus eigener Anschauung kennen.

Aber vielleicht haben sie eine Chance, sich mit fremder Hilfe noch beinahe rechtzeitig an den eigenen Haaren aus dem Sumpf der totalen Verweigerung zu ziehen. Vor den drohenden Haftantritt haben die Richter in ihren Fällen einen letzten Rehabilitationsversuch gesetzt, durchgeführt durch eine Münchner Firma mit (nach eigener Auskunft) besonders hoher Erfolgs- und unterdurchschnittlicher Rückfallquote. Wobei man nicht vergessen sollte, das hier nicht das pure Mitgefühl am Werk ist, sondern sich an der öffentlich (sowie von einer global operierenden Nicht-Regierungsorganisation) finanzierten Rehabilitation verhaltensauffälliger, sozial gefährdeter, gewaltbereiter oder bereits straffälliger Jugendlicher auch nett verdienen lässt. Der Staat spart trotzdem, weil eine lebenslange Gefängniskarriere deutlich teurer wäre.

Die Therapie, die in Taufkirchen zum Einsatz kommt, ist mehrgleisig: Physisch setzt sie darauf, den Jungs, die bisher unkontrolliert um sich schlugen, im Boxring Disziplin beizubringen, wo sie auch mal selbst einstecken müssen, weil sie hier nicht automatisch die Stärkeren sind. Und psychisch auf ein aktives Interesse an dem, was hinter ihrer gelangweilten Großprotzerei an realen Talenten verborgen liegen mag. Immer in der Annahme, dass die jungen Männer eine solche Art von »echtem« Interesse bisher nicht erlebten. Zu Boxtraining und Zuhören treten Bewerbungstraining und Job-Vermittlung, die Begleitung beim nachgeholten Schulabschluss, physische Arbeit und die gelegentliche Bergwanderung, die das untrainierte Durchhaltevermögen der Jungs sichtlich belastet, aber auch für ein Erfolgserlebnis in der Gruppe gut ist.

Regisseur Gerardo Milsztein, argentinischer Spross einer jüdisch-polnischen Familie, kennt das Gefühl, ein Leben lang das Gewicht seiner Familiengeschichte auf den Schultern zu tragen. Und konnte nachvollziehen, wie schwer es für die jungen Männer sein mag, den Ballast früher Gewalterfahrung abzuwerfen. So hat zumindest einer einen triftigen Grund, das Boxtraining zu verweigern: Sein Vater schlug um sich, und der war Boxer. Dass der Sohn es draußen auf der Straße heute genauso macht, ganz ohne Boxausbildung, hat dann wieder mit der Art zu tun, wie sich Gewalt in Familien fortsetzt, egal, ob es dabei um Schläge oder zum Beispiel Inzest geht. Die Mütter haben die Söhne nicht vor den Vätern schützen können, jetzt leiden sie am Verlust der Söhne. Immerhin treten sie vor Milszteins Kamera auf; die Väter nicht.

Es sind Lebenswege, die »Friedensschlag« nachzeichnet, in denen schon der doch noch errungene Hauptschulabschluss einen Riesenschritt nach vorn markiert, auch wenn er auf dem Arbeitsmarkt wenig wert sein mag. Weil er einen Schritt weg von Selbstmitleid und Selbstaufgabe bedeutet, weg von einer Haltung, die von Dritten nichts und von sich selbst noch weniger erwartet.

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