Wohnen ohne Barrieren

Behindertenverband für selbstbestimmtes Leben in guten Nachbarschaften

  • Ulrike Henning
  • Lesedauer: 3 Min.
Ab dem 18. Lebensjahr kann in Deutschland jeder selbst entscheiden, wie, wo und mit wem er leben will. Für Menschen mit Behinderungen gibt es dazu jedoch nach wie vor viele Einschränkungen. Der Allgemeine Behindertenverband e.V. (AbiD), der am Wochenende sein 20-jähriges Bestehen feierte, lud daher am vergangenen Samstag zum Kolloquium nach Berlin. Ein Veranstaltungsbericht.

Die in Deutschland seit dem 26. März 2009 geltende UN-Behindertenrechtskonvention nennt deutlich die volle Einbeziehung aller Menschen in die Gemeinschaft als eine Aufgabe, zu der die Staaten »wirksame und geeignete Maßnahmen« zu treffen haben. Dazu gehören die freie Wahl des Aufenthaltsortes und die freie Entscheidung, wo und mit wem Behinderte leben wollen. Eine Verpflichtung in besondere Wohnformen ist danach rechtswidrig.

In der Praxis wird es Betroffenen jedoch häufig schwer gemacht, ihre Rechte in Anspruch zu nehmen. Jens Merkel, der sich im Forum selbstbestimmter Assistenz behinderter Menschen e.V. engagiert, freut sich zwar darüber, dass er – auf einen Rollstuhl angewiesen – selbstständig in der eigenen Wohnung in Grimma leben kann und von Assistenten unterstützt wird. Dies ist ihm aber nur unter Vorbehalt einer Einkommens- und Vermögensprüfung möglich.

Merkel berichtet von einer jungen Frau, die in einem Leipziger Wohnheim lebt, das mit ständiger fachlicher Betreuung wirbt. Diese steht aber nicht mehr zur Verfügung, wenn die Frau abends später nach Hause kommt. Die Stadt Leipzig wiederum lehnte die Finanzierung einer persönlichen Assistenz ab, obwohl die Betroffene schon eine geeignete Wohnung gefunden hat.

Bärbel Reichelt vom Berliner Behindertenverband e.V. beklagt, dass der Senat eine Stelle gestrichen hat, von der aus barrierefreie Wohnungen der Hauptstadt zentral verwaltet wurden. Nun wüsste niemand mehr genau, wo es welche Wohnungen dieser Qualität gäbe, und nicht selten würden diese auch an Menschen vermietet, für die entsprechende Vorteile nicht so nötig seien.

Auch aus Sicht des ABiD-Vorsitzenden und Bundestagsabgeordneten Ilja Seifert (LINKE) wurde hier am falschen Ende gespart. Für barrierefreies Wohnen seien besonders drei Punkte wichtig: Bad, Küche und ein benutzbarer Balkon. Seifert hat kein Problem damit, dass die Barrierefreiheit von Wohnungen diese für alle Mieter aufwertet. Es gibt mehr Platz und besseres Durchkommen auch für den Zwillingskinderwagen oder für den Fall, dass nach einem Unfall oder im Alter ein Rollstuhl nötig wird. Da das Baurecht aber von den Bundesländern geregelt wird, fehlen häufig genaue Bestimmungen zum barrierefreien Bauen. »Das sollte aber so selbstverständlich sein wie der Blitzableiter, der auf das Dach gehört«, so Seifert.

Der Sponsor Gazprom ermöglichte es dem AbiD, der etwa 6000 Mitglieder vor allem in den neuen Bundesländern hat, Behinderten-Vertreter aus sechs osteuropäischen Staaten einzuladen. Agnés Czeglédi-Kovács aus Ungarn berichtete von wachsenden Schwierigkeiten, staatliche Zuschüsse für behindertengerechten Wohnungsumbau zu erhalten. Für die kasachischen Vertreter sind die Anregungen zum barrierefreien Wohnen und zur Mobilität aktuell besonders wichtig. Ihr Land hat gerade den Vorsitz in der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) inne, und die Regierung fordert die eigenen Menschenrechtler auf, Vorschläge für gesetzliche Verbesserungen zu machen.

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