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  • Atomwaffenfreie Welt oder nukleare Katastrophe

Die Notoperation

In New York werden Weichen gestellt / Die Rettung des Kernwaffensperrvertrags ist schwierig, aber nicht unmöglich

  • Wolfgang Kötter
  • Lesedauer: 6 Min.
Am UNO-Hauptsitz in Manhattan begann gestern eine Konferenz, deren sperriger Name kaum erkennen lässt, dass hier die Weichen für das Schicksal der Menschheit gestellt werden. Worum geht es bei der »Überprüfungskonferenz zum Vertrag über die Nichtverbreitung von Kernwaffen«?

Der Atomwaffensperrvertrag entstand nach dem Schock der Kubakrise, die 1962 erst kurz vor einem nuklearen Schlagabtausch zwischen den USA und der UdSSR entschärft wurde. Der Vertrag sollte die Überflutung der Erde mit verheerenden Vernichtungswaffen verhindern. Das gelang aber nur mit mäßigem Erfolg.

Zwar zählt der Vertrag heute 190 Mitglieder, aber seit er am 1. Juli 1968 unterzeichnet wurde, entwickelten außer den damaligen Kernwaffenbesitzern USA, Sowjetunion, Großbritannien, Frankreich und China auch Indien, Israel, die KDVR, Pakistan und Südafrika atomare Waffen. Das von der Apartheid befreite Südafrika verzichtete später freiwillig auf die bereits produzierten Waffen. Belarus, Kasachstan und die Ukraine schlugen das nukleare Erbe der Sowjetunion letztlich aus. Doch könnten heute mindestens 30 bis 40 Staaten militärische Atomtechnologie entwickeln. Argentinien, Brasilien, Deutschland, Iran, Japan, die Niederlande und Südafrika sind sogar technisch in der Lage, waffenfähiges Spaltmaterial herzustellen.

»Auf wackligen Füßen«

Während der vierwöchigen Überprüfungskonferenz wird sich nun zeigen, ob multilaterale, vertragsgestützte Bemühungen um Abrüstung und Nichtverbreitung von Kernwaffen noch eine Zukunft haben. Nach Einschätzung der deutschen Friedensforschungsinstitute stehen die Staaten vor drei Herausforderungen: einen neuen Konsens in der Abrüstung zu finden, die Lösung aktueller Nichtverbreitungskrisen voranzutreiben und Kontrollen zu verschärfen. Vor allem aber sind die Atomwaffenstaaten in der Pflicht, ihre Abrüstungsverpflichtung einzulösen.

Barack Obama versicherte am 5. März namens der USA seine Entschlossenheit, »das Nichtverbreitungsregime zu stärken, um den Herausforderungen des 21. Jahrhunderts zu begegnen, indem wir unsere ultimative Vision einer Welt ohne Atomwaffen anstreben«. Bereits im September 2009 hatte er das Projekt einer atomwaffenfreien Welt im UNO-Sicherheitsrat vorgestellt. Der Rat identifizierte sich mit dem Ziel und rief alle Staaten auf, daran mitzuwirken.

Vor der Überprüfungskonferenz warnte der Vorsitzende des rüstungskritischen Ploughshares Funds in Washington, Joseph Cirincione: »Wenn Obama den Sperrvertrag bei diesem Treffen nicht rettet, könnte das dessen Ende sein.« Der Vertrag stehe »ohnehin schon auf wackligen Füßen«. Obamas Strategie bestehe darin, den Vertragsgegnern den Wind aus den Segeln zu nehmen, einschneidende Reduzierungen zunächst beim eigenen und dem russischen Potenzial und anschließend auch bei den übrigen Nuklearstaaten vorzunehmen.

Nur wenn die Nichtkernwaffenstaaten vom Abrüstungswillen der Nuklearmächte überzeugt werden, könnte der Vertrag noch einmal wiederbelebt werden. Doch die bisherigen Ergebnisse fallen mager aus. Russland und die USA haben in letzter Minute, nach mehrmaliger Verzögerung einen Neu-START-Vertrag über die Reduzierung ihrer strategischen Offensivwaffen unterschrieben, der jedoch noch ratifiziert werden muss. Beide Staaten haben dieses Neu-START-Abkommen vor der UN-Vollversammlung zum Vorbild erklärt und alle Staaten aufgerufen, sich für Atomabrüstung einzusetzen. Die Teilnehmer des Washingtoner Gipfels zur Nuklearsicherheit im April bekräftigten ihren Willen, Spaltmaterial zu sichern und gemeinsam gegen Nuklearterrorismus vorzugehen. Eine neue Nuklearstrategie der USA schränkt das potenzielle Einsatzspektrum für Kernwaffen ein und sieht den Abbau tausender Atomsprengköpfe vor. Die Regierung hat zudem einen neuen Anlauf unternommen, damit der Senat den Teststoppvertrag endlich ratifiziert. Aber wird das reichen? Kritik am Verhalten der Atomwaffenmächte kommt vor allem aus der Gruppe der Nichtpaktgebundenen, angeführt von Ägypten, Algerien, Kuwait, Libyen, Iran und Syrien.

»Abrüsten jetzt!«

Angesichts der Diskussion um eine atomwaffenfreie Welt und des neuen Washingtoner Kurses halten Experten eine Rettung des Nichtverbreitungsvertrags für schwierig, aber nicht unmöglich. Ein Bündnis von mehr als 250 Organisationen führt seit Februar eine globale Kampagne zur atomaren Abrüstung – »disarm now!« (Abrüsten jetzt!). 65 Jahre nach Hiroshima und Nagasaki sei die Zeit »reif für mutige Schritte zu einer atomwaffenfreien Welt«, heißt es in ihrem in New York, Paris, London, Tokio und Berlin veröffentlichten Appell.

Im deutschen Aufruf »Für eine Zukunft ohne Atomwaffen« wird die Bundesregierung zu konkreten Abrüstungsschritten aufgefordert. Sie müsse dazu beitragen, dass die Konferenz ein Erfolg wird. Andernfalls »wäre der Weg offen für ein ungehemmtes Wettrüsten mit immer mehr Atomwaffenstaaten«, meint der Geschäftsführer der deutschen Sektion der Organisation Internationale Juristen gegen Nuklearwaffen (IALANA), Reiner Braun. Die Unterzeichner des deutschen Appells fordern den Abzug der US-Atomwaffen aus Deutschland, den Verzicht auf Nuklearwaffen in der künftigen NATO-Strategie, den Stopp aller Modernisierungspläne für Kernwaffen und Trägermittel sowie den Verzicht auf den Ersteinsatz von Atomwaffen. Zudem werden Sicherheitsgarantien der Nuklearmächte gegenüber allen Nicht-Atomwaffenstaaten gefordert.

Eine Abordnung der Abrüstungsaktivisten übergibt den Aufruf für eine Welt ohne Atomwaffen dieser Tage in New York an UNO-Generalsekretär Ban Ki Moon.


Sicherungsmaßnahmen (Safeguards) der IAEA

Das Überprüfungssystem zum Vertrag über die Nichtverbreitung von Kernwaffen basiert auf nationalen Deklarationen und internationaler Verifikation der Nuklearbrennstoffkreisläufe. Die Regierungen schließen mit der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) Abkommen, in denen sie sich zur Offenlegung ihrer kerntechnischen Materialien und Tätigkeiten verpflichten. Die IAEA setzt dann analytische Methoden, Umgebungsüberwachung, Satellitenbilder und Inspektionen am Ort ein, um zu überprüfen, ob die Deklarationen korrekt und vollständig sind. Die periodischen Inspektionen in Kernkraftwerken, nuklearen Forschungsanlagen und medizinischen Einrichtungen sollen die Übereinstimmung der gemeldeten mit den tatsächlich vorhandenen Mengen radioaktiven Materials attestieren und damit einer illegalen Abzweigung für den Bau von Atomwaffen vorbeugen. Die Kontrollen dienen zur Vertrauensbildung bzw. als Frühwarnsystem bei Unregelmäßigkeiten.

Das IAEA-Sicherungssystem wird seit 1997 durch ein freiwilliges Zusatzprotokoll verstärkt. Das Protokoll verpflichtet die Staaten, der IAEA umfassendere Informationen zu allen Bereichen ihrer Tätigkeit in Bezug auf den Nuklearbrennstoffkreislauf zu liefern. Den internationalen Inspektoren werden weitgehende Zugangsrechte und die Nutzung modernster Kontrolltechnologien einschließlich stationärer Kameras, Strahlungsdetektoren und der Entnahme von Umweltproben zugesichert. Sie sind berechtigt, unverzüglich und unangemeldet jeden Ort und jede Anlage möglicher Nuklearaktivität oder Lagerstätten von Kernmaterial wie auch alle Elemente des Nuklearbrennstoffkreislaufs zu untersuchen. Bisher haben über 160 Staaten Sicherungsabkommen abgeschlossen, das Zusatzprotokoll haben 129 Staaten unterzeichnet, aber erst für 97 ist es in Kraft. W.K.

Lexikon: Vertrag über die Nichtverbreitung von Kernwaffen
(Zusammenfassung der Hauptbestimmungen)

Artikel I: Die Kernwaffenstaaten verpflichten sich, Kernwaffen an niemanden weiterzugeben und Nichtkernwaffenstaaten weder zu unterstützen noch zu ermutigen, Kernwaffen herzustellen oder zu erwerben.

Artikel II: Die Nichtkernwaffenstaaten verpflichten sich, Kernwaffen nicht herzustellen oder zu erwerben.

Artikel III: Kontrolle durch die Internationale Atomenergie-Organisation (IAEA) auf der Grundlage individueller Abkommen der jeweiligen Staaten

Artikel IV: Recht auf Erforschung, Erzeugung und Verwendung der Kernenergie für friedliche Zwecke; Verpflichtung zum Austausch von Ausrüstungen, Material und wissenschaftlichen und technologischen Informationen zur friedlichen Nutzung der Kernenergie

Artikel V: Recht auf oberirdische friedliche Kernexplosionen (hinfällig, da aus Umweltgründen keine mehr durchgeführt werden.)

Artikel VI: Verpflichtung zu Verhandlungen über Beendigung des nuklearen Wettrüstens, nukleare Abrüstung sowie allgemeine und vollständige Abrüstung unter internationaler Kontrolle

Artikel VII: Recht zur Bildung kernwaffenfreier Zonen

Artikel VIII: Bestimmungen für Vertragsänderungen

Artikel IX: Unterzeichnungs- und Ratifikationsbestimmungen

Artikel X: Bei Gefährdung der höchsten Landesinteressen Recht auf Rücktritt vom Vertrag nach dreimonatiger Kündigungsfrist

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