Alle auf der Suche nach festerer Bindung

Nach der NRW-Wahl: Das einzige, worauf die Parteien bauen können, ist der Wechselwähler

  • Gabriele Oertel
  • Lesedauer: 3 Min.
Die NRW-Landtagswahl setzt mit einer Wahlbeteiligung von 59, 3 Prozent einen seit Jahren anhaltenden Negativtrend fort. Auch das Wählerhopping hat zugenommen. Feste Bindungen werden zur Mangelware.

Seit Jahren wird an jedem Wahlabend die Wahlmüdigkeit der Bürger beklagt. Seit Jahren wird dies als Beleg für mangelndes Vertrauen in die politischen Parteien gewertet. Dabei ist die Totalverweigerung wie auch das immer mehr als Sport bewertete Parteienhopping Beleg für die Ratlosigkeit vieler Wähler. Entscheidungen für die einen oder anderen politischen Kräfte, die von längerer Dauer sind und sich gar von Generation zu Generation fortsetzen, scheinen generell der Vergangenheit anzugehören. Und das bei weitem nicht nur in Nordrhein-Westfalen.

Dass sich der CDU-Fraktionschef von Thüringen, Mike Mohring, in der heutigen »Leipziger Volkszeitung« besorgt äußert, dem bürgerlichen Lager gelinge es nicht mehr, die Wähler im für eine Mehrheit ausreichenden Maß zu binden, kommt also nicht von ungefähr. Die CDU, die Rekordeinbußen von über zehn Prozent hinnehmen musste, war in NRW diesmal ausschließlich Geberpartei. Fast eine Million Unionswähler der Landtagswahl von 2005 versagten ihr am 9. Mai 2010 die Stimme. Infratest dimap ermittelte, dass die CDU 140 000 Wähler an die SPD, 90 000 an die Grünen, 130 000 an die FDP, 30 000 an die LINKE, 110 000 an andere kleine Parteien und 330 000 an die Gruppe der Nichtwähler verlor. Unter den Arbeitern, so die Mannheimer Forschungsgruppe Wahlen, musste die CDU zwölf Prozent Einbußen hinnehmen – inzwischen hat die Partei des selbsternannten Arbeiterführers da nur noch 26 Prozent.

Mohrings Sorge um den Reiz des bürgerlichen Lagers für die Wähler findet auch in der Bilanz der FDP ihre Erklärung, die mitnichten in NRW die Verluste der Union kompensieren konnte, auch wenn sie gegenüber der letzten Landtagswahl minimal zulegte. Außer den zu ihnen gewanderten Unions-Stimmen haben auch die Freien Demokraten laut Infratest nur Abgänge: jeweils 10 000 an SPD und LINKE, jeweils 30 000 an Grüne und Andere und 40 000 an die Nichtwähler.

Die NRW-SPD, die sich nach jahrelangen Einbrüchen am Sonntagabend zunächst als Wahlsieger fühlte, sich aber nach der Feststellung des vorläufigen amtlichen Wahlergebnisses zumindest wieder »im Kommen« wähnt, hat dennoch die schlechteste Landtagswahl seit 1954 hingelegt. Den 150 000 von Schwarz-Gelb herübergewachsenen Stimmen stehen Verluste in einer Größenordnung von 420 000 gegenüber – 170 000 einstige SPD-Wähler votierten für die Grünen, 70 000 für die LINKE, 50 000 für andere Parteien – und 130 000 blieben ganz zu Hause. Dass die Sozialdemokraten bei Arbeitern (44 Prozent) und Gewerkschaftern (50 Prozent) besonders punkten und der CDU 23 Wahlkreise abnehmen konnte, mag die Parteifunktionäre freuen – kann aber dennoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Rhythmusstörungen in der einstigen »Herzkammer der SPD« längst noch nicht ausgestanden sind.

Die Grünen legten in Nordrhein-Westfalen ihr bestes dortiges Landtagswahlergebnis hin und waren zudem die einzige unter den größeren Parteien, die neben den 290 000 Stimmen-»Spenden« von CDU, SPD und FDP auch aus dem Lager der Nichtwähler 80 000 Zuwächse verzeichnen konnten. Nur noch bei den unter »Andere Parteien« zusammengefassten Ergebnissen werden 60 000 Stimmenzuwächse von den Nichtwählern registriert. Die beiden Abgänge in Gestalt der Wählerwanderung von den Grünen zur Linkspartei und zu den kleineren Parteien gibt Infratest mit jeweils 20 000 an.

Die LINKE, die erstmals in den Düsseldorfer und damit in ihren siebten westdeutschen Landtag eingezogen ist, hat mit Zuwächsen von insgesamt 130 000 Stimmen echte Nehmer-Qualitäten bei allen vier anderen Parteien unter Beweis gestellt und auch bei den kleineren Parteien noch 40 000 abgefasst. Allerdings hatte auch die LINKE 20 000 Abgänge ins Nichtwähler-Lager. Laut Forschungsgruppe Wahlen war die nunmehr in Nordrhein-Westfalen fünfte etablierte Partei besonders erfolgreich bei arbeitslosen Wählern und mit 17 Prozent in diesem Segment fast genauso stark wie die CDU mit 18 Prozent.

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