Auf dem Gedanken-Strich

  • Ernst Röhl
  • Lesedauer: 3 Min.
Flattersatz: Auf dem Gedanken-Strich

Doof bleibt doof, da helfen keine Pillen. Die Herrschaften von der Mövenpick-Partei erliegen bereitwillig dem Irrtum, andere Leute wären noch ein bisschen dümmer als sie. Diesen Eindruck gewannen sie bei der Bundestagswahl; er geht auf das Konto des Wählers, der seine Stimme der FDP gegeben hat. Nun ist sie weg, die Stimme, logisch. Reden kann der Wähler zwar noch, aber er hat nichts mehr zu sagen.

Seine Stimme verstärkt nun das FDP-Lautsprecherteam, aus dem durch dummstolze Haltung der Dr. Westerwelle als Frechheitsstatue herausragt. Was, fragen wir, denken eigentlich Sie als Nichtbetroffener über das Problem der Intelligenz? Hat etwa Professor Sinn Sie zu dem sinnlosen Einfall ermutigt, bei Staatsschulden in dreistelliger Milliardenhöhe die Steuern zu senken? Hat die Kanzlerin Sie ermächtigt, dem nackten Mann in die Tasche zu greifen, die Kommunen in die Pleite zu jagen und die Aufstocker und Leiharbeiter in die Privatinsolvenz? Signalisieren Ihre grauen Zellen Ihnen denn nicht, dass Deutschland auch ohne Ihre Schnapsideen verarmt?

Wenn ich sehe, wie sich jemand an einer Mülltonne zu schaffen macht, weiß ich schon lange nicht mehr: Schmeißt er was rein oder holt er was raus? Die Reichen werden reicher, die Armen zahlreicher, und immer größer wird die Zahl derer, die von ihrer Hände Arbeit nicht mehr leben und noch nicht sterben können.

»Aber«, fragt treuherzig Prof. Hans-Werner Sinn vom Münchner ifo-Institut, »muss man von seiner Hände Arbeit denn unbedingt leben können?« All jene, die nicht können, meinen, sie sollten. Professor Sinn aber hält solche Redensarten für »unseriöses, volksverdummendes Geschwätz, das volkswirtschaftliche Gesetzmäßigkeiten ausblendet«. Zum Himmel schreiende soziale Ungerechtigkeiten können seinen Standpunkt nicht erschüttern; denn er weiß: Das Grundgesetz erlaubt dem Armen wie dem Reichen gleichermaßen, im Hotel Adlon abzusteigen und sich ein Champagner-Vollbad zu gönnen.

Überhaupt wissen viele Leute den Segen der sozialen Ungleichheit nicht zu schätzen. Darum ist es ganz gut, dass ihnen das mal einer erklärt. »Ungleichheit gehört zur Freiheit«, mahnt Bundespräsident H. Köhler, »sie ist eine dynamische Kraft.« Im Sog dieser betörenden These stehen ihm journalistische Edelfedern zur Seite, die auf dem Weg nach oben unbedingt zu den Bayreuther Premieren eingeladen werden wollen. Die Überschriften ihrer Zeitungskommentare lauten folgendermaßen: Wir leben über unsere Verhältnisse. Deutschlands Arbeitslosen geht es zu gut. Soziale Gerechtigkeit macht den Menschen unmündig. Warum Ungleichheit Vielfalt und Freiheit bringt. Besser schlechte Jobs als keine. Mehr Sozialhilfe führt zu noch mehr Armut. Wer jetzt höhere Löhne fordert, riskiert Arbeitspläätzäää.

Nennen wir es Meinungspluralismus. Das eine ist Quatsch, das andere ist Unsinn, und die Wahrheit liegt wie immer in der Mitte. Mein Lieblingswissenschaftler ist übrigens Norbert Bolz. »Vielfalt und Freiheit machen das Leben lebenswert«, schwärmt er, »beides gibt es nur durch Ungleichheit.« Und wir, warnt er, dürften auf gar keinen Fall die Freiheit zugunsten der Gleichheit opfern. Mit knatternden Fahnenwörtern wie diesen verbreiten frei laufende »Reformer« ständig Furcht und Schrecken. Doch wer seine Muttersprache ein kleines bisschen kennt, kommt ins Grübeln, wenn ein Schlaumeier anfängt, abstrakte Phrasen zu personifizieren: die Freiheit, die Gleichheit, die Demokratie, die Wirtschaft.

Nicht selten deutet ein solcher Sprachgebrauch an, dass es zu Ende geht. Einst in der DDR seligen Angedenkens eilte »der« Sozialismus mit Siebenmeilenstiefeln seiner lichten Zukunft entgegen, der Volksmund aber hielt die passenden Endzeitpointen bereit: Parteisekretär Paul verbreitet in der Versammlung pflichtgemäß Optimismus mit dem Slogan »Der Sozialismus siegt.« Diskussionsbeitrag des tapferen Genossen Willi: »Du kannst mir nicht mehr drohen, Paule, ick hab Krebs!«

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