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Kingstons Bewohner proben den Aufstand

Protest gegen Auslieferung in die USA

  • Hans-Ulrich Dillmann, Santo Domingo
  • Lesedauer: 3 Min.
Ausnahmezustand in Jamaika: Bei schweren Zusammenstößen zwischen Sicherheitskräften und bewaffneten Gangstern sind am Wochenende mindestens zwei Polizisten getötet und sechs weitere verletzt worden. Für die Hauptstadt und die angrenzende Provinz rief Regierungschef Bruce Golding den Ausnahmezustand aus.
Die Entscheidung der jamaikanischen Regierung barg Brennstoff: Zustimmung zur Auslieferung von Christopher »Dudus« Coke an die USA. Coke wird von den US-Behörden vorgeworfen, einer der Hintermänner des internationalen Drogenhandels zu sein. Die Reaktion der Anwohner von Cokes Viertel Tivoli Gardens folgte prompt: Straßenblockaden und Straßenschlachten mit der Polizei, die sich in andere Stadtteile Kingstons und Umgebung ausbreiteten.

Der 42-jährige Christopher »Dudus« Coke betreibt in Tivoli Gardens eine Firma, die Veranstaltungen und Streetdanceevents organisiert. Für seine Tätigkeit habe er seit 2002 Millionenbeträge vor allem durch die damals amtierende sozialdemokratische People's National Party (PNP) kassiert, schreibt die jamaikanische Tageszeitung »The Gleaner«. Der pressescheue Event-Manager soll aber in Wirklichkeit der Boss eines kriminellen Netzwerkes in Jamaika sein, das aber auch in den USA, Großbritannien und der Karibik operiere. Seinen Reichtum habe »Dudus« mit Waffen- und Drogenhandel gemacht. Im August vergangenen Jahres hatten die USA seine Auslieferung beantragt. Jamaika ist neben Haiti und der Dominikanischen Republik eine der Drehscheiben für den internationalen Drogenhandel.

Für die Bewohner der Armenviertel von Kingston und vor allem von Tivoli Garden ist Christopher »Dudus« Coke jedoch kein Drogenboss und Großdealer, sondern ein Wohltäter und Helfer. Viele Kinder, so berichtet der »Gleaner« verdanken seiner finanzieller Unterstützung die Möglichkeit, eine bessere Schule zu besuchen. An Bedürftige, so wird berichtet, lasse er regelmäßig Lebensmittel verteilen. Und seiner Initiative verdanken viele Stadtteile mit vorwiegend ärmerer Bevölkerung, dass dort die Bandenkriege der letzten Jahren beigelegt worden seinen, berichtet der »Jamaica Observer« in seiner Online-Ausgabe am Sonntag.

Als am Dienstag vergangener Woche ein Richter den Auslieferungsantrag der USA unterzeichnet hatte und Polizeibeamte den Haftbefehl gegen »Dudus« Coke vollstrecken wollten, verbarrikadierte sich dieser in seinem Haus in Tivoli Gardens. Anwohner begannen anschließend Straßensperren zu errichten, um der Polizei den weiteren Zugang zum Stadtviertel zu wehren. Frauen mit weißen T-Shirts demonstrierten derweil im Stadtzentrum gegen die Auslieferung: »Lasst ›Dudus‹ in Ruhe. Er ist ein gesetzestreuer Bürger«, forderten die Demonstrantinnen. Seitdem aber die Anwälte des Gesuchten vor Gericht scheiterten, seine Auslieferung zu verhindern, brennt die Metropole.

Am Sonntag eskalierte die Auseinandersetzung weiter. Stadtviertel wurden mit brennenden Straßensperren abgeriegelt. Nach Polizeiangaben und Presseberichten aus Kingston verschanzten sich Bewaffnete in mehreren Stellen der Stadt auf Dächer und beschossen anrückende Polizeieinheiten. Mehrere Polizeistationen wurden beschossen, wobei ein Polizist einer Spezialeinheit verletzt wurde. Das Polizeirevier in Hannah Town, im westlichen Kingston musste aufgrund der bewaffneten Angriffe geräumt werden, nachdem den Polizeibeamten die Munition ausgegangen war. Demonstranten setzten das Gebäude anschließend in Brand. Polizeichef Owen Elington hat Christopher »Dudus« Coke aufgefordert, die Situation nicht noch weiter eskalieren zu lassen und sich zu ergeben. Vorsorglich hat das US-Außenministerium eine Reisewarnung seine Staatsbürger für den Großraum Kingston herausgegeben. Auch das Auswärtige Amt warnt vor Besuchen der Krisengegend.

Premierminister Bruce Golding, dessen Wahlkreis in Tivoli Gardens liegt, sprach von »einen kalkulierte Anschlag auf die Staatsautorität«, der nicht nachgegeben werden dürfte. Entspannung ist demnach nicht in Sicht.

Kommentar Seite 4.

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