Sollen Arbeitslose Straße fegen?

  • Harry Nick
  • Lesedauer: 3 Min.
»Die Pflicht zur Arbeit gehört nicht dazu, sie ist Zwangsarbeit, Unrecht.«
»Die Pflicht zur Arbeit gehört nicht dazu, sie ist Zwangsarbeit, Unrecht.«

Was ist falsch daran, von demjenigen, der etwas von der Gesellschaft bekommt, zum Beispiel das Hartz IV-Geld, zu verlangen, dass er der Gesellschaft dafür etwas geben müsse? Darf er zum Beispiel zu öffentlichen Arbeiten wie Straßenfegen oder dem Reinigen von Parkanlagen verpflichtet werden? Man muss schon über das Verhältnis zwischen Einzelnem und Gesellschaft gründlich nachdenken, will man solch sozialreaktionärer Logik nicht auf den Leim gehen.

Um wessen Wohl geht es eigentlich? Um das Wohl der Gesellschaft oder um das des Einzelnen? Darüber laut nachzudenken, schien mir auch in der DDR wichtig: »… die Voraussetzungen für die freie Entwicklung eines Jeden können nur durch Veränderungen der gesellschaftlichen Strukturen, durch gemeinsame Kraftanstrengungen, durch eine bestimmte Verfasstheit der Gesellschaft insgesamt geschaffen werden. Und Individualität entfaltet sich immer in lebendigem Wechselverhältnis zu anderen, zur Gemeinschaft; der Wert des einzelnen erweist sich immer darin, was er für den anderen Menschen bedeutet. Aber das Ziel der sozialistischen Gesellschaft, der konzentrierteste Ausdruck ihres humanistischen Wesens, kann nur die Befriedigung der Bedürfnisse aller ihrer Mitglieder, d. h. der Bedürfnisse jedes einzelnen sein. Befriedigung gesamtgesellschaftlicher Bedürfnisse ist letztlich immer nur Mittel für die Erreichung dieses Ziels« (Einheit, Heft 12/1987, S. 1090).

Menschenrechte sind immer und ausschließlich Rechte des Einzelnen. Alle Sätze in den Menschenrechtskonventionen der UNO beginnen mit »Jeder Mensch hat das Recht …« Von Pflichten ist nicht die Rede, auch nicht von Rechten der Gesellschaft gegenüber dem Einzelnen. Natürlich gibt es Pflichten des Einzelnen und Ansprüche der Gemeinschaft ihm gegenüber. Das aber sind Gesetze »zweiter Ordnung«, vertragliche Vereinbarungen zwischen den Bürgern.

Die originären Menschenrechte stelle man sich besser vor als nicht »gemacht«, sondern als dem Menschen einfach gegeben, von der Natur, von Gott. Sie sind allen »gemachten« Gesetzen vorangehendes Recht. Auch Mehrheitsbeschlüsse von Parlamenten dürfen sie nicht außer Kraft setzen; das wäre Unrecht. Das sind durchaus keine abgehobenen akademischen Überlegungen, sie haben praktische Bedeutung. Weil der Versuchung, der Gefahr begegnet werden muss, die Rechte des Einzelnen behaupteten Ansprüchen der Gesellschaft, der »Volksgemeinschaft«, der Klasse unterzuordnen. Bittere Erfahrungen der jüngeren Geschichte beweisen, dass solche Wege, je weiter man auf ihnen kommt, immer weiter von Freiheit und Demokratie wegführen.

Das erste Menschenrecht ist das Recht auf ein Leben in Würde, das Recht auf Arbeit gehört zu den Menschenrechten, auch das Recht auf Faulheit. Die Pflicht zur Arbeit gehört nicht dazu, sie ist Zwangsarbeit, Unrecht. Gerade weil die große Mehrheit der Arbeitslosen arbeiten will, wäre das erzwungene Straßenfegen eine soziale und moralische Stigmatisierung, von der auch die Arbeiter der kommunalen Straßenreinigungsbetriebe betroffen wären. Vielen von denen würde zudem der Arbeitsplatz genommen. Wer freiwillig ein Leben ohne Arbeit wählt, muss mit seinem Gewissen ausmachen, dass seine Mitmenschen seine Brötchen backen müssen; aber vorwerfen darf man es ihm nicht. Schon gar nicht in einer Gesellschaft, die nicht allen Arbeitswilligen Arbeit gibt. Es gibt nur eine gerechte Lösung des Problems: die Kombination eines bedingungslosen Grundeinkommens für alle mit darüber liegenden Mindestlöhnen.

In der wöchentlichen ND-Wirtschaftskolumne erläutern der Philosoph Robert Kurz, der Ökonom Harry Nick, die Wirtschaftsexpertin Christa Luft und der Wirtschaftswissenschaftler Rudolf Hickel Hintergründe aktueller Vorgänge.

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