nd-aktuell.de / 12.07.2010 / Wirtschaft und Umwelt / Seite 9

König Kunde wird ausspioniert

Individualisierte Werbung ruft Datenschützer auf den Plan

Rob Lever (AFP), Washington
Datenschützer in USA protestieren gegen eine gezielte Werbung, bei der die Grenzen zwischen Werbung und Überwachung verschwimmen und der begehrte Kunde regelrecht ausspioniert wird.

Dass der Kunde als König zu behandeln sei, galt lange Zeit als weithin akzeptierte Verhaltensnorm von Händlern. Sie kündete von Respekt und Distanz. In der Werbe- und Warenwelt der Zukunft wird der Kunde hingegen zum gläsernen Objekt, wobei die Zukunft mancherorts – allen voran in den USA – bereits begonnen hat. Die Vision eines Marketings, das den Kunden auf Schritt und Tritt in den Blick nimmt, ist inzwischen auch außerhalb des Internets Realität geworden. Neue Technologien testen die Grenzen der werbeorientierten Observation aus, viele Kunden reagieren mit Unbehagen.

Wer heutzutage durch ein Einkaufszentrum in den USA flaniert, wird oft von Kameras beobachtet, die in digitalen Werbetafeln versteckt sind. Durch eine Software zur Gesichtserkennung erscheint auf der Anzeigetafel eine maßgeschneiderte Werbebotschaft – zum Beispiel in Abhängigkeit davon, ob der Passant ein Mann oder eine Frau ist. Theoretisch wäre es sogar möglich, dass die Kameras einzelne Menschen individuell erkennen und persönliche Werbebotschaften aussenden: »Frau Smith, Sie brauchen ein neues Waschmittel.«

Auch das Handy ist für die Werber hilfreich: Manche Firmen nutzen bereits GPS-Ortungstechnologie, um Kunden eine maßgeschneiderte Werbebotschaft aufs Handy zu schicken – etwa über einen besonders günstigen Café Latte, wenn der Kunde gerade an der Filiale einer Kaffeehauskette vorbei läuft.

Vertreter der Werbewirtschaft in den USA weisen Bedenken gegen den Trend zur Personalisierung zurück. »Wir liefern dem Konsumenten Informationen, anhand derer er gut begründete Kaufentscheidungen über unsere Warenmarken treffen kann«, sagt Rob Graham, Vizepräsident der Beratungsfirma Laredo Group.

Dass den Kunden die neuen Möglichkeiten der Werbewirtschaft freilich nicht ganz geheuer sind, musste vor einigen Monaten der Motorölhersteller Castrol erfahren. In London hatte er digitale Werbetafeln aufhängen lassen, die mit Kameras ausgerüstet waren. Diese erfassten das Autokennzeichen vorbeifahrender Wagen, ermittelten über eine Datenbank Marke und Baujahr des Fahrzeugs und ließen dann eine Werbeempfehlung zum Kauf von Motoröl aufblinken, die exakt auf das vorbeifahrende Modell zugeschnitten war. Nach Protesten von Bürgern wurden die Tafeln wieder abgenommen.

Datenschützer wie Pam Dixon von der Vereinigung »World Privacy Forum« sehen in den neuen Werbemethoden »jede Menge Probleme, die die Privatsphäre« berührten. »Die meisten Menschen, die an Schaufenstern, an Aufzügen oder anderen öffentlichen Orten vorbeilaufen, haben keine Ahnung, dass unschuldig aussehende Flachbildschirme ihr Bild einfangen und dann für Werbezwecke analysieren.«

Keith Kelsen, Chef der Firma Media Tile, die sich auf solche schlauen Werbetafeln spezialisiert hat, wiegelt die Bedenken ab. »Wir erfassen keine individuellen Menschen«, beteuert er. »Es geht nur um die Information, ob jemand Mann oder Frau ist, wie viele Leute da sind, wie lange sie auf die Werbetafel schauen.« Allerdings sei die Branche inzwischen tatsächlich »an dem Punkt, an dem wir die Werbebotschaft bestimmen können je nachdem, wer vor dem Bildschirm steht«, sagt Kelsen.

Was im realen Leben noch neu ist, ist im Internet längst Alltag. Dass ihre Kauf- und Suchgewohnheiten von Internetfirmen wie Google und Amazon verfolgt werden, sei den meisten Internetnutzern klar, sagt der Datenschutzexperte Chris Hoofnagle von der University of California in Berkeley. Was viele aber störe, sei, dass solche persönliche Informationen an Marketingfirmen weitergegeben würden. »Die Leute wollen nicht verfolgt werden«, sagt Hoofnagle. »Auch wenn sich daraus kein direkter Schaden ergibt, fühlt es sich einfach unheimlich an.« Eine Studie der University of California hatte 2009 ergeben, dass zwei Drittel der US-Bürger gegen persönlich zugeschnittene Werbung sind.