»Eine monatliche Ordnungsstrafe«

Anwalt eines früheren DDR-Ministers: Geltendes Recht benachteiligt alle älteren Ostrentner

  • Lesedauer: 4 Min.
In dieser Woche befand das Bundesverfassungsgericht, die Kürzung der Rentenansprüche ehemaliger DDR-Minister – in diesem Fall Umweltminister Hans Reichelt – sei nicht zu beanstanden. Einer der Anwälte, Karl-Heinz Christoph, bleibt bei der gegenteiligen Auffassung. Und hält darüberhinaus die Kürzung aller Rentenansprüche der DDR-Bürger für rechtswidrig. Mit ihm sprach Uwe Kalbe.
In dieser Woche befand das Bundesverfassungsgericht, die Kürzung der Rentenansprüche ehemaliger DDR-Minister – in diesem Fall Umweltminister Hans Reichelt – sei nicht zu beanstanden. Einer der Anwälte, Karl-Heinz Christoph, bleibt bei der gegenteiligen Auffassung. Und hält darüberhinaus die Kürzung aller Rentenansprüche der DDR-Bürger für rechtswidrig. Mit ihm sprach Uwe Kalbe.

ND: Das Bundesverfassungsgericht hat die gekürzten Renten Ihrer Mandanten für rechtens erklärt. Wieso können Sie sich nicht damit abfinden?
Christoph: Das Gericht setzt damit die Serie negativer Entscheidungen zu Rentenansprüchen ehemaliger DDR-Bürger fort. Erst Ende 2009 wurde eine Verfassungsbeschwerde der in der DDR geschiedenen Frauen abgelehnt. Sie werden in der Bundesrepublik mit Minirenten schlimm diskriminiert. In der Wirkung ist das noch nachhaltiger als das Rentenstrafrecht, gehört aber zum gleichen Komplex, zur Benachteiligung Ostdeutscher.

Sie sagen also, alle Angehörigen von Zusatzrenten- bzw. Versorgungssystemen der DDR seien benachteiligt? Viele sind ja nicht mal staatsnah gewesen, wie man es Ihren Mandanten vorwirft.
In der Tat wurden alle DDR-Ansprüche auf Renten-, Zusatzrenten- und -versorgungen enteignet. Das »neu« berechnete Alterseinkommen der Ostrentner erreicht danach nur ein Drittel bis maximal zwei Drittel des Alterseinkommens eines in der Lebensleistung vergleichbaren Bürgers der alten Länder: Altersarmut ist programmiert. Das gilt besonders für die Frauen, von denen viele auf die Grundsicherung angewiesen sind. Den Ostrentnern ist die Erhaltung des im Arbeitsleben erworbenen Lebensstandards und, zum Beispiel, eine angemessene Unterstützung ihrer Kinder und Enkel bei der Berufsausbildung und auf dem Weg in die Selbstständigkeit nicht möglich. Ihr geringes Alterseinkommen vermindert zudem die Kaufkraft in den östlichen Gemeinden und behindert nachhaltig deren Wirtschaftsentwicklung.

Ihr Vorwurf geht also über Anspruchsberechtigte aus Zusatzsystemen hinaus? Jeder ostdeutsche Rentner ist benachteiligt? Ich kenne Rentner, die können sich nicht beklagen.
Die ostdeutschen Bürger beklagen sich zumeist nicht: Sie sind gewohnt, sparsam zu wirtschaften. Sie sind nicht gewöhnt, im Gericht um Ansprüche zu kämpfen, zumal ihnen das von Sozialrichtern oft schwer gemacht wird. Fakt ist indes, dass ehemalige DDR-Bürger höchstens eine verminderte Versichertenrente erhalten. Weder die in der DDR erworbenen Ansprüche auf Versichertenrente noch auf Zusatzrente oder -versorgung wurden »überführt«: Keiner erhält eine Vollversorgung, wie sie vergleichbaren Westdeutschen in der Regel zusteht. Denjenigen, die zu den »Staatsnahen« gehörten, werden die ohnehin schon dauerhaft geringeren Rentenansprüche noch weiter auf maximal einen Entgeltpunkt Ost pro Jahr verringert. Zum Vergleich: 1988 oder 1989 waren ca. 1,85 Entgeltpunkte Ost erreichbar. Die sanktionsartige Kürzung auf einen Entgeltpunkt, dieses Rentenstrafrecht, wirkt wie eine lebenslänglich monatlich abzuführende Ordnungsstrafe.

Es heißt aber immer wieder, die in der DDR verankerten Rentenansprüche aus Zusatzversorgungssystemen seien im Prinzip von der Bundesrepublik übernommen worden.
Der Einigungsvertrag hatte eine Überführung vorgesehen. Er wurde durch das Rentenüberleitungsgesetz gebrochen. Das Gesetz liquidierte alle Alterssicherungsansprüche ehemaliger DDR-Bürger, nicht nur früherer Minister. Das war eine Enteignung. Die DDR-Ansprüche wurden »ersetzt« durch andere Ansprüche, die rückwirkend nach dem bundesdeutschen Rentenrecht berechnet werden. Dieses Westrecht ist für DDR-Lebensläufe nicht ausgelegt. Das DDR-Recht berücksichtigte zum Beispiel für Frauen Zeiten der Schwangerschaft und der Kinderbetreuung sowie die Anzahl der Kinder und anderes mehr. Das Westrecht führt insgesamt, da auch keinerlei DDR-Zusatzrenten- und Versorgungsansprüche zur Ergänzung der Pflichtversicherungsrente mehr berücksichtigt werden, zu einer lebenslangen Verminderung des Wertes der Alterseinkommen.

Das Karlsruher Gericht argumentiert, ehemalige Minister erhielten trotz der nun sanktionierten Rentenkürzung deutlich mehr Rente als andere DDR-Bürger. Die Rente hängt von den Einkommen ab – wie viel mehr hat denn ein Minister damals verdient?
Der Stellvertretende Ministerpräsident erhielt 4350 Mark netto im Monat einschließlich seiner Dienstaufwandsentschädigung. Für einen stellvertretenden Minister waren 2500 Mark plus 1250 Mark Dienstaufwandsentschädigung vorgesehen. In der DDR gab es keine Einkommen, wie sie heutige Minister oder gar Wirtschaftsbosse erhalten.

Welche rechtlichen Schritte bleiben Ihren Mandanten nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts?
Wir werden ihnen raten, ihre Ansprüche beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte geltend zu machen. Sie sollten aber auch in der Öffentlichkeit und politisch gemeinsam mit den anderen lebenslang benachteiligten Bürgern gegen das Rentenüberleitungsgesetz und seine Umsetzung kämpfen. Dazu bedarf es auch intensiver Aufklärungsarbeit.

Informationen zum Rentenrecht sind dem in Kürze erscheinenden Buch des Interviewpartners zu entnehmen: Bestohlen bis zum Jüngsten Tag. Kampf dem Rentenabbau Ost. Karl-Heinz Christoph, Verlag Das Neue Berlin, Berlin 2010, ISBN 978-3-360-02105-2), 14,95 Euro.

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