Operation gelungen, Patient todkrank

Griechenland erkauft sich seine Haushaltskonsolidierung mit einer tiefen Rezession

  • Anke Stefan, Athen
  • Lesedauer: 3 Min.
Während die Vertreter des neoliberalen Sparprogramms für Griechenland Erfolgsmeldungen auftischen, liegt die Wirtschaft des Landes am Boden.

Die »Troika«, wie die Expertenkommission der EU, des Internationalen Währungsfonds (IWF) und der Europäischen Zentralbank in Griechenland genannt wird, war des Lobes voll. Einen »starken Start« habe das Land hingelegt, um die Auflagen zur Senkung des Haushaltsdefizits zu erfüllen, verkündete der IWF-Vertreter Poul Thomsen dieser Tage in Athen. Einer Auszahlung der zweiten Rate der Hilfskredite in Höhe von neun Milliarden Euro Mitte September stehe nichts mehr im Weg.

Aus der Kontrolle entlassen ist Athen damit allerdings nicht. Noch im August will der IWF hier ein Büro eröffnen, um »Informationen zu sammeln, zu analysieren und mit der griechischen Regierung zu diskutieren«, wie Thomsen ankündigte. Einen Vorgeschmack darauf lieferte die Troika bei ihrem jüngsten Besuch. Um auch die dritte Rate im Dezember zu bekommen, müsse Griechenland seine »Wettbewerbsfähigkeit« verbessern – durch weitere Privatisierungen bei den Staatsunternehmen, allen voran in der Energiebranche.

Auch der griechische Finanzminister ist zufrieden. Das Land sei auf dem richtigen Kurs, befand Giorgos Papakonstantinou. Das Haushaltsdefizit wurde im ersten Halbjahr 2010 um 46 Prozent reduziert. Vorgegeben waren 39,5 Prozent für das ganze Jahr. Wenn man so weitermache, könne das 2009 noch 13,6 Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP) ausweisende Defizit noch unter die mit der Troika vereinbarten Zielmarke von 8,1 Prozent für 2010 gedrückt werden, so Papakonstantinou.

Betrachtet man die Zahlen genauer, kommen Zweifel an den Erfolgsmeldungen auf. Denn die Absenkung des Defizits wurde größtenteils mit den Einschnitten bei Sozialausgaben, Bezügen der Staatsbediensteten und den Renten erreicht. Dies und die deutliche Erhöhung der Verbrauchssteuern haben die Kaufkraft der Bevölkerung derart gedrosselt, dass die Steuereinnahmen nicht wie geplant um 13,7 Prozent, sondern nur um 7,2 Prozent gestiegen sind. Der Staat nahm in den ersten sechs Monaten 3,77 Milliarden Euro weniger ein als geplant.

»Im Durchschnitt müssen die Beschäftigten im privaten wie im öffentlichen Sektor einen Einkommensverlust von 20 Prozent gegenüber dem letzten Sommer hinnehmen«, schrieb die »Financial Times Deutschland« mit Verweis auf Angaben der EU-Kommission. Diese errechneten sich aus den Lohnkürzungen von 12 bis 15 Prozent plus der hohen Inflationsrate von 5,2 Prozent (EU-Durchschnitt: 1,7). Hauptgründe für die hohe Teuerung sind die Erhöhung der Mehrwertsteuer und der durch dreimalige Steuererhöhungen verursachte Preisanstieg beim Benzin um satte 41 Prozent seit Jahresbeginn.

Für die griechische Gesellschaft sind die Folgen dramatisch. Von 9,3 auf 11,7 Prozent ist die offizielle Arbeitslosigkeit in den ersten sechs Monaten gestiegen – Ende Juni waren gut 590 000 der 5 Millionen Erwerbsfähigen arbeitslos gemeldet. Die tatsächliche Zahl dürfte weitaus höher sein, da sich viele Arbeitslose, die keinen Anspruch auf das ein Jahr lang gezahlte karge Arbeitslosengeld von 450 Euro monatlich haben, gar nicht arbeitslos melden. Nach einer Studie des Einzelhandelsverbandes sind allein im Handel in diesem Jahr über 45 000 Arbeitsplätze verloren gegangen. 16 000 Geschäfte seien in Konkurs gegangen, allein im Großraum Athen hätten in den vergangenen zehn Monaten 17 Prozent der Läden dicht gemacht.

Selbst konservative Wirtschaftsanalysten rechnen mit einer lang anhaltenden, tiefen Rezession. Hochrechnungen des Gewerkschaftsdachverbandes GSEE zufolge wird das Einkommen der Griechen in Kürze auf das Niveau von 1984 zurückgefallen sein.

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