»Midbar«

Wuchtige Wüste

  • Tom Mustroph
  • Lesedauer: 3 Min.

Wenn Tänzer Wehrdienst leisten müssen, dann kommen so robuste Stücke wie jetzt »Midbar« von Nir de Volff heraus. Der kräftig gebaute israelische Performer mit drei Jahren Armee-Erfahrung in den Knochen schnappt sich seinen Kumpel Elik Niv für eine Spritzfahrt in die Wüste. Dabei geht es hippieesk und psychedelisch zu. Nir de Volff stapft auf ausgetretenen Latschen los. Am Wegesrand steht ein schlaffer Anhalter (Jan Sebastian Suba). Aus den Boxen im Auto dröhnt schwerer Sound der 80er Jahre. In der Wüste angekommen, fangen die Steine an zu sprechen. Ein Päckchen Dynamit bringt sie zum Tanzen. Von irgendwoher taucht ein Skelett auf, dem Elik Niv den Sonnengruß vom Yoga beibringt, wenn er nicht grade die Gitarrensaiten für einen Anti-Kriegs-Song zupft. Ansonsten baut er an seinem Häuschen in der Wüste.

Zwischendurch wird das Wasser knapp. Aber nur bei de Volff, denn Niv hat ja eine feine Infrastruktur. Er gibt allerdings nur ungern etwas von den lebensnotwendigen Köstlichkeiten ab, was ein paar sehr extreme Verrenkungen bei de Volff auslöst und dessen Hang zu halluzinierenden Effekten verstärkt. In jedem Umriss sieht der Dürstende nun seine abgelegte Geliebte Sahara, die später sogar in doppelter Gestalt (Tatiana Saphir und Ela Spalding) erscheint und Bauchtanzeinlagen gibt.

Weil Judith Philipp ein sehr apartes Bühnenbild aus leicht verzerrten kubischen Kästen unterschiedlicher Größen gebaut hat, können sich die Performer wahlweise darüber wälzen, hinaufklettern und hineinkrabbeln sowie die Objekte munter durch die Gegend schieben. Der schiere Widerstand der Bühnenelemente verleiht dem sehr chaotischen Geschehen eine bemerkenswerte Struktur. Auch das spartanisch nackte Mauerwerk des Dock 11 hilft sehr, sich in eine karge Landschaft hineinzuversetzen.

Die Ideen, die in »Midbar« – was auf hebräisch soviel wie »Wüste« meint – eingeflossen sind, sind äußerst vielfältig. Um nackten Überlebenskampf geht es da. Um das Verhältnis von Israelis und Palästinensern. Um jenes von Juden und Deutschen auch. Sebastian Subas letzte Worte sind: »Mein Großvater ist auch im KZ umgekommen. Er fiel besoffen vom Wachturm.« Danach nehmen sich de Volff und Niv den armen Berliner vor. Vor allem aber ist »Midbar« ein Stück über die immerwährende Anmaßung des Menschengeschlechts und dessen manchmal kurioses, oft aber auch sehr furchterregendes Scheitern.

Leider versinken diese sehr philosophischen Ansätze fast komplett im doch recht undifferenzierten kumpelhaften Tun der beiden Hauptprotagonisten. Und daher weiß man nicht, ob man einem ironisch gemeinten Tanzstück zu einigen der großen Weltprobleme beiwohnt oder ob sich die Ironie ganz unfreiwillig in eine Inszenierung einschleicht, die als existenzieller Kracher angelegt war.

Gut möglich, dass sich de Volff erst einmal selbst klar werden muss, mit welcher Haltung er seine erfrischend burschikosen Mittel einsetzt. Sein Vorgängerstück »Matkot« (hebräisch: Beach Ball) erforschte Alltagsverhalten am Strand von Tel Aviv und schmuggelte dabei geschickt politische Komponenten ein. Bei »Midbar« bricht unterwegs das Gefäß, das die Gedanken tragen soll. Aber immerhin macht sich de Volff die Mühe, einige relevante Gedanken zu produzieren und diese auf die Bühne zu wuchten.

11.-15.8., 20.30, Dock 11, Kastanienallee 79

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