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In der Warteschleife

Das Tanzprojekt »Pass« thematisiert Ankunft und Abschiebung im Flughafen Tempelhof

  • Tom Mustroph
  • Lesedauer: 3 Min.
Zwischen Ankunft und Abschiebung herrscht Verunsicherung – dargestellt von der Gruppe »lis:sanga«.
Zwischen Ankunft und Abschiebung herrscht Verunsicherung – dargestellt von der Gruppe »lis:sanga«.

Mindestens zwei Welten treffen in Berlin aufeinander, hat die Choreografin Lenah Strohmaier beobachtet: Die der hier lebenden Personen mit normalem Aufenthaltsstatus und anerkannten Papieren und die jener Menschen, die keine oder nur unzureichende Dokumente haben und die fürchten müssen, von einem Moment auf den anderen aus dem Land genötigt zu werden. »Einfach abgeschoben zu werden, ist wesentlich härter, als ›nur‹ die Arbeit zu verlieren«, sagt Strohmaier. Weil in ihrer Tanzcompagnie »lis:sanga« viele Jugendliche mitwirken, die als Flüchtlinge nach Berlin gekommen sind und selbst immer wieder um ihre Aufenthaltsberechtigung fürchten müssen, hat die Gruppe jetzt die Produktion »Pass« entwickelt. 46 Tänzerinnen und Tänzer im Alter von vier bis 74 Jahren werden vom 27.-29. August auf dem Flugfeld des stillgelegten Flughafens Tempelhof ein Stück über das Ankommen und das Abgeschobenwerden präsentieren.

»Uns interessiert vor allem die Phase dazwischen, die von einer permanenten Unsicherheit gekennzeichnet ist. Eigentlich beginnt die Unsicherheit ja schon bei der Ankunft. Niemand weiß, was ihn in einem fremden Land erwartet. Hier angekommen, ist man aber davon abhängig, welche Entscheidungen die Behörden treffen«, erläutert Strohmaier. Ihres Wissens sind in diesem Jahr 80 Prozent aller gestellten Asylanträge sofort abgelehnt worden. Ein Fünftel der Antragsteller befindet sich in der Warteschleife. »Die kann sich über mehrere Jahre ziehen, aber auch das ganze Erwachsenenleben ausmachen«, meint Strohmaier.

Solch ein Erwachsenenleben ist dann von unzähligen Gängen auf die Ämter geprägt, um – je nach Gutdünken der Bürokraten – einmal im Monat oder täglich in der Behörde zu erscheinen und die Duldung zu verlängern. Das Recht auf Arbeit kann gewährt, aber auch entzogen werden.

Filmsequenzen aus dem Wartesaal der Ausländerbehörde werden im Verlauf von »Pass« auch auf den Flughafen projiziert, kündigt Strohmaier an. Als besonders einschneidend haben ihre Tänzer das Erreichen des 18. Lebensjahres empfinden müssen. »Für Kinder und Jugendliche, die als Flüchtlinge ankommen, tut der Staat einiges. Er sorgt für Unterkunft, Betreuung und den Schulbesuch. Werden die Jugendlichen aber erwachsen, dann wird mit vielen Mitteln versucht, sie aus dem Lande zu bekommen – selbst wenn sie sich mustergültig integriert haben«, erzählt Strohmaier.

Weil Strohmaier ihre Tänzer mehrfach zu Behördengängen begleitete, konnte sie erfahren, wie demütigend die »Klienten« behandelt werden, wie sehr es hilft, wenn sie von Deutschen begleitet werden und wie undurchsichtig die meisten Entscheidungen sind. Man könne nur schwer abschätzen, wie die Bescheide ausfallen, meint sie. In ihrer Compagnie gibt es drei Schwestern, die – obwohl aus der gleichen gesellschaftlichen Situation kommend – jeweils einen unterschiedlichen Aufenthaltsstatus besitzen.

Derzeit arbeitet sie mit ihrer Gruppe in den neuen Uferstudios in Wedding daran, das Erlebte in Bewegung umzusetzen. Dabei geschieht eine Transformation. Die biografischen Bruchstücke werden oft zum Ausgangspunkt der Bewegungssequenz eines anderen. Das hat durchaus disziplinarische und anspornende Momente. Neben der interkulturellen Mischung – u.a. tanzen Libanesen, Angolaner, Polen, Bosnier, Afghanen und Deutsche miteinander – achtet Strohmaier auch auf die Generationenmischung. Sie hat eine Gruppe von Tänzern über 50 Jahren ins Leben gerufen, die sich ebenfalls an dem Projekt beteiligt. Das führt zu bemerkenswerten Effekten. Die älteren, meist gerade pensioniert, stammen aus der Generation der 68er. »Sie können jetzt ihre Lebensgeschichte an die Jungen weitergeben«, erzählt Strohmaier.

Die Älteren treten auch als Paten auf. Sie helfen beim Deutsch lernen und bei Aufgaben für die Schule. Und sie springen mit Geld ein, wenn wieder ein Proberaum bezahlt oder ein Kostüm erworben werden muss. Förderung erhält die Gruppe trotz des bemerkenswerten doppelten interkulturellen Ansatzes nämlich nicht.

27.-29.8., 20.30, Flughafen Tempelhof, Tickets 13/8 Euro, Infos unter der Tel. 030 - 81 45 13 16

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