Bangladesch will Transitland werden

Ehrgeiziges Infrastrukturvorhaben mit den Nachbarn Indien, Nepal und Bhutan

  • Hilmar König, Delhi
  • Lesedauer: 3 Min.
Auch grenzüberschreitend sind in Südasien große Verkehrsprojekte in Planung. So wollen die Regierungen in Delhi und Dhaka den seit Jahrzehnten gehegten Traum von Integration und Kooperation nun verwirklichen.

Indien, Bangladesch, Nepal und Bhutan arbeiten daran, die bislang wegen Sicherheitsbedenken und gegenseitigen Misstrauens blockierten Transitwege auf der Schiene, der Straße und den Flüssen zu öffnen. Nach dem jüngsten Besuch des indischen Finanzministers Pranab Mukherjee in Dhaka, der Hauptstadt Bangladeschs, sind die Aussichten auf einen kräftigen Entwicklungsimpuls im Nordosten des Subkontinents spürbar gestiegen. Bis Jahresende will man die erforderlichen Papiere ausgetauscht haben.

Die vier Nachbarn, allesamt Mitglieder der südasiatischen Wirtschaftsgemeinschaft SAARC, könnten davon profitieren: Indien bekäme endlich viel kürzere Zugänge zu seinen nordöstlichen Unionsstaaten und müsste nicht mehr um bengalisches Territorium herum den ressourcenreichen »Hinterhof« ansteuern. Dazu müssten das Straßennetz und eine Eisenbahnlinie quer durch Bangladesch aktiviert sowie der Hafen von Chittagong für indische Frachter geöffnet werden.

Über indische Transitkorridore würden wiederum Bhutan und Nepal mit Bangladesch verbunden werden; Im- und Exporte könnten dann über den Hafen von Chittagong laufen. Damit würde sich für die beiden Himalayastaaten ohne Zugang zum Meer die Abhängigkeit vom »großen Bruder« Indien reduzieren, ihr Außenhandel würde sich vereinfachen.

Auch für Bangladesch ergeben sich ungeahnte Möglichkeiten. Außenministerin Dipu Moni denkt bereits daran, das Land »zu einem regionalen Knotenpunkt zu transformieren«. Auch Transitverkehr nach China und Myanmar würde ermöglicht. Bisher sei Bangladesch regional und global nahezu isoliert, was man angesichts wachsender Verknüpfungen von Staaten rund um den Erdball nicht länger hinnehmen wolle. Bald werde es im östlichen Südasien keine großen Barrieren für Menschen und Güter mehr geben.

Allerdings, so die Erfahrungen aus Jahrzehnten, lassen sich in diesem Teil der Welt bürokratische Hindernisse auf dem Weg zu zwischenstaatlicher Kooperation nicht im Handumdrehen beseitigen. Dennoch standen die Chancen für ein solches Transitprojekt nie zuvor so gut. Denn der indische Finanzminister kam nicht mit bloßen Absichtserklärungen nach Dhaka. Er überreichte seiner Gastgeberin, Premierministerin Sheikh Hasina Wajed, einen Scheck über eine Milliarde Dollar. Einen solchen Kredit mit einer Rückzahlungsfrist von 20 Jahren und einer niedrigen Jahresverzinsung von 1,75 Prozent hat Indien bisher noch keinem anderen Land gewährt. Der Kredit soll 14 Infrastrukturprojekte finanzieren, die das Transitvorhaben untermauern. Dazu gehören Bau und Ausbesserung von Straßen und Brücken, Modernisierung des Flusshafens Ashuganj, Rekon-struktion von Eisenbahnstrecken und Bahnwerkstätten, Import von Lokomotiven und Waggons sowie Ausrüstungen zum Ausbaggern von Flussbetten.

Bangladesch weist seit den 1990er Jahren durchschnittliche Wachstumsraten von fünf Prozent beim Bruttoinlandsprodukt auf, wovon die Mittelklasse am meisten profitiert, gehört aber weltweit noch immer zu den ärmsten Ländern. 49 Prozent der Bevölkerung leben unter der Armutsgrenze. Beinahe jedes zweite Kind ist unterernährt. Arbeitslosigkeit ist besonders unter der Jugend verbreitet. Die Säuglingssterblichkeit beträgt 58 von 1000, die durchschnittliche Lebenserwartung lediglich 60 Jahre. Die Alphabetenrate bei den Männern liegt bei 54, die der Frauen bei 41,4 Prozent.

Im August kam es wiederholt zu landesweiten Protesten gegen die »Energiekrise«; wegen der zuletzt gestiegenen Sommerhitze gibt es in den Städten oft stundenlange Stromabschaltungen. Unter den 3,5 Millionen überwiegend weiblichen Textilarbeitern herrscht ebenfalls tiefe Unzufriedenheit. Dieser Sektor, aus dem drei Viertel aller Exporte Bangladeschs kommen, scheffelte im Vorjahr einen Gewinn von 12 Milliarden Dollar, speist aber traditionell seine Beschäftigten mit Hungerlöhnen ab. Streiks und Demonstrationen führten dazu, dass Ende Juli die Regierung eine Erhöhung der monatlichen Mindestlöhne von 1660 Taka auf 3000 Taka (34 Euro) anordnete. Doch der Kampf um wenigstens 5000 Taka Monatslohn, um Urlaub, Krankengeld und um die Anerkennung von Gewerkschaften geht weiter.

Ob eine engere Anbindung an die Nachbarn die soziale Krise zu entschärfen hilft, muss sich in der Zukunft beweisen.

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