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Fata Morgana

DEUTSCHES ERDÖLIMPERIUM

  • Gerd Fesser
  • Lesedauer: 3 Min.

Pünktlich zum 80. Geburtstag von Dietrich Eichholtz ist ein neues Buch aus der Feder des bekannten ostdeutschen Wirtschaftshistorikers erschienen – und zwar zu einem Forschungsgegenstand, der ihn die letzten Jahre fesselte. Wie seine publizistischen Vorgänger wirkt auch dieses Buch wie ein historischer Kommentar zu aktuellen globalen Geschehnissen, zum weltweiten Kampf um den begehrten Rohstoff Öl.

Der Autor, der sich über Jahrzehnte mit seinen Forschungen und Publikationen zur deutschen Kriegswirtschaft einen Namen gemacht hat, konzentriert sich nunmehr auf die deutsche Gier nach Öl. Im ersten Kapitel zeigt er, dass die Deutsche Bank im Zusammenhang mit dem Bau der berühmten Bagdadbahn auch den Einstieg ins internationale Ölgeschäft anstrebte. Es gelang ihr nach zähen Verhandlungen in der Tat, eine Beteiligung von 25 Prozent an der britisch dominierten Turcish Petroleum Co. zu erhalten, die künftig in Mesopotamien (dem heutigen Irak) Öl fördern sollte. Zu den deutschen Kriegszielen 1914 gehörte dann die alleinige Verfügung über das mesopotamische Öl. Im Dezember 1918 freilich zerplatzten diese Träume: Die TPC-Aktien der Deutschen Bank wurden von den Siegermachten beschlagnahmt.

Das zweite Kapitel gilt der Versailler Nachkriegsordnung und der Neuverteilung der Erdölressourcen; das besiegte Deutschland verlor seine in Rumänien und zugleich jegliche Anwartschaft auf das Öl des Irak. Das von einem Kollegen, von Titus Kockel verfasste dritte Kapitel befasst sich mit der deutschen Erdölpolitik bis 1938. In Deutschland erzeugtes synthetisches Benzin war Ende der 20er Jahre drei Mal so teuer wie aus Erdöl erzeugtes. Nach 1933 machten sich die mächtigen IG Farben das Drängen der Wehrmachtsführung auf sichere Versorgung mit Treibstoff zunutze, um die synthetische Produktion zu forcieren. Gleichwohl deckten auch 1938 synthetische Produktion und eigene Förderung nur etwa 20 Prozent des deutschen Erdölbedarfs.

Im vierten Kapitel wird die zentrale Bedeutung aufgezeigt, die das Erdöl aus Rumänien für die deutsche Kriegsmaschine besaß. 1941 stammten 96,8 Prozent der deutschen Ölimporte aus diesem Balkanland. Im März 1941 wurde die Kontinentale Öl AG gegründet, eine gemischt staatlich-privatwirtschaftliche Aktiengesellschaft, die alle in den deutschen Machtbereich geratenen Ölreviere verwalten sollte.

Deutschland gierte auch nach den Ölvorkommen im Kaukasus, Irak und Iran. Das militärische Fiasko der Wehrmacht im Winter 1942/43 beendete den Traum von einem deutschen Ölimperium.

Zum »Ende mit Schrecken« gehörten die Bomberoffensive der Alliierten gegen das rumänische Erdölrevier von Ploiesti (seit April 1944) und gegen die deutschen Hydrierwerke (seit Mai 1944). Hatten diese im April 1944 noch 175 000 Tonnen Flugbenzin produziert, so waren es im Februar 1945 noch ganze 1000 Tonnen! Durch den Treibstoffmangel war die deutsche Wehrmacht bereits Monate vor Kriegsende faktisch lahm gelegt. Gleichwohl setzte die Clique um Hitler den aussichtslosen Kampf bis »fünf Minuten nach zwölf« fort.

Eichholtz hat – wie von ihm gewohnt – erneut ein fundiertes, informatives Buch vorgelegt, das gut lesbar und über weite Strecken geradezu spannend ist.

Dietrich Eichholtz: Deutsche Ölpolitik im Zeitalter der Weltkriege. Leipziger Universitätsverlag. 586 S., geb., 44 €.

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