Sarkozy und Merkel wollen den Euro-Karren aus dem Dreck ziehen

Frankreichs Präsident und deutsche Kanzlerin bauen beim EU-Gipfel eine Drohkulisse auf

  • Ralf Klingsieck, Paris
  • Lesedauer: 5 Min.
Die Zeit der Dissonanz zwischen Deutschland und Frankreich scheint Vergangenheit: In den heutigen EU-Gipfel gehen die beiden Nachbarn mit einer gemeinsamen Position.

Nicolas Sarkozy und Angela Merkel haben zu einer seit langem nicht gekannten Übereinstimmung gefunden. Danach sah es lange nicht aus. Im Zusammenhang mit der Frage, wie auf den Staatsbankrott Griechenlands zu reagieren sei, wurden die völlig unterschiedlichen Ansichten in Paris und Berlin in Grundfragen der Wirtschaftspolitik deutlich. Diese Meinungsverschiedenheiten eskalierten um das »Sparprogramm« von Merkel und die Forderung Sarkozys nach einer – von Berlin strikt abgelehnten – »Wirtschaftsregierung« für die Euro-Zone mit einem eigenen Sekretariat. Wie der Presse zugetragen wurde, tönte der französische Präsident seinerzeit in einer Kabinettssitzung, dass »ein Sparpaket nach dem anderen in die Rezession führt«. Die Wirtschafts- und Finanzministerin Christine Lagarde warf Deutschland in einem Interview »Egoismus« vor. Es fördere um jeden Preis die eigenen Exporte, nicht zuletzt auf Kosten Frankreichs, des größten Außenhandelspartners. Berlin revanchierte sich und spielte der Presse wenig schmeichelhafte Einschätzungen über das französische Haushaltsdefizit und die mangelnde Bereitschaft, substanzielle Abstriche an den Staatsausgaben durchzusetzen, zu. Tatsächlich beläuft sich das Defizit des französischen Sozialversicherungssystems in diesem Jahr auf mehr als 30 Milliarden Euro. Der französische Außenhandel brach 2009 um 17 Prozent ein. Er machte im vergangenen Jahr grade mal 22,9 Prozent des Bruttoinlandsprodukts aus, während es in Deutschland 40,8 Prozent waren. Das französische Haushaltsdefizit wird im laufenden Jahr etwa 156 Milliarden Euro erreichen, das deutsche 121 Milliarden Euro. Seit drei Jahrzehnten gab es in Frankreich keinen ausgeglichenen Staatshaushalt mehr.

All das nährt die oft etwas holzschnittartige Einschätzung vieler Kommentatoren beiderseits des Rhein, wonach Frankreichs Wachstum traditionell auf Konsum beruht und die deutsche Konjunktur auf Exporten. Die Reibereien gingen so weit, dass im Juni ein Treffen in Berlin zwischen Sarkozy und Merkel nur Stunden vor dem angesetzten Termin abgesagt und verschoben wurde.

Solche protokollarischen Desaster zeugen meist von einem gründlich zerrütteten Verhältnis zwischen den Partnern. Bei Frankreich und Deutschland ist der Hintergrund eine sich vollziehende grundlegende Umwälzung im bilateralen Verhältnis. Ein halbes Jahrhundert lang hat man die deutsch-französischen Beziehungen mit einigem Recht als »Motor Europas« bezeichnet. Doch dieser Motor stottert heute. Das viel beschworene »Gleichgewicht des Ungleichgewichts« beider Länder hat sich verschoben. Jahrzehntelang war Frankreich ein politischer Riese während Deutschland als politisch zurückhaltende Wirtschaftsmacht agierte. Schon aufgrund der politischen Hypotheken der Vergangenheit stellten deutsche Kanzler im Zweifelsfalle eher eigene Interessen zurück und unterstützten die Positionen des französischen Partners. Für die französische Seite war die Freundschaft und Solidarität nicht zuletzt Mittel, die Führung in der EU zu übernehmen. Lange waren beide Seiten damit gut gefahren.

Doch das Kräfteverhältnis hat sich verschoben. Die Wiedervereinigung hat Deutschland in jeder Hinsicht aufgewertet, gestärkt und vom östlichen Rand in die Mitte Europas gerückt. Die besonderen Beziehungen und Interessen Deutschlands in Richtung Osten werden in Paris misstrauisch verfolgt. Man erinnert sich an Titelzeilen französischer Zeitungen in der Zeit 1989/90 wie: »Müssen wir jetzt wieder vor den Deutschen Angst haben?« Jüngste Entwicklungen nährten diese Ressentiments. »Die griechische Krise hat ein deutsches Europa hervorgebracht«, schätzte das Nachrichtenmagazin »Marianne« ein. »Angela Merkel hat gefordert und bekommen, was sie wollte: die Beteiligung des Internationalen Währungsfonds, strengere Haushaltsregeln und den Verzicht auf eine halbwegs ambitionierte europäische Wirtschaftsregierung.«

Doch im Gerangel um die Führerschaft in Europa hält Sarkozy dagegen. Angesichts seiner innenpolitischen Probleme, der Proteste gegen seine Rentenreform, seines Umfragetiefs und der für 2012 anstehenden Präsidentschaftswahlen will er sich als Krisenmanager an der Euro-Front profilieren. Dass er 2011 den Doppelvorsitz der G 8- und der G 20-Staaten innehat, kommt ihm dabei sehr gelegen.

In den heutigen EU-Gipfel gehen die beiden Freunde und Kontrahenten mit einer über Wochen mühsam angenäherten, jetzt aber gemeinsamen Position: Merkel hat auf automatische Wirtschaftssanktionen gegen zu laxe Haushaltsführung und exzessive Defizite verzichtet. Im Gegenzug trägt Sarkozy das von ihr favorisierte Prinzip politischer Sanktionen mit, ebenso wie die Verschärfung des Stabilitätspakts und die entsprechende Änderungen der EU-Verträge. Das macht die Vorschläge der Kommission, die sich selbst die Entscheidungskompetenz zuschanzen wollte, zu Makulatur. Vor allem jedoch ist mit erheblichem Widerstand der anderen, vor allem kleinerer und wirtschaftlich schwächerer EU-Mitglieder gegen die geplante Regel zu rechnen, wonach den Staaten mit dauerhaft hohen Schulden das Stimmrecht im Ministerrat entzogen wird. Aber sind sich Sarkozy und Merkel so sicher, dass sich diese Regel nicht auch einmal gegen Frankreich oder Deutschland richten kann?


Gipfelthemen

Heute und morgen kommen die 27 EU-Staats- und Regierungschefs zu einem Gipfel in Brüssel zusammen. Im Mittelpunkt steht dabei ein bereits von den Finanzministern bestätigter Bericht von Gipfelchef Herman Van Rompuy zur Verschärfung des Euro-Stabilitätspakts. Dieses Dokument ist bislang lediglich eine politische Erklärung, aber noch kein Rechtstext. Im Kern geht es darum, dass die Euro-Staaten die Defizit-Kriterien – maximal drei Prozent Neuverschuldung und 60 Prozent Gesamtverschuldung jeweils im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt – künftig einhalten.

Verschärft werden soll die Überwachung der Euro-Staaten. Brüssel könnte bei einer Abweichung vom Haushaltskurs auch dann einschreiten, wenn das Defizit unter drei Prozent liegt. Zudem greifen Sanktionen schneller und härter, wenn ein Land diese Marke überschreitet. Es kann dann gezwungen werden, ein Pfand zu hinterlegen. Dieses kann, wird eine gesetzte Frist für die Haushaltskonsolidierung überschritten, in ein Bußgeld umgewandelt werden. Bei der Verhängung von Strafen gibt es keinen Automatismus, aber es soll für den Finanzministerrat schwieriger werden, eine Strafe zu verhindern. Dies geht nur noch mit Zwei-Drittel-Mehrheit.

Ferner geht es bei dem Gipfel um einen »dauerhaften Krisenmechanismus«. Der im Frühsommer geschaffene Rettungsfonds für Staaten in finanzieller Notlage von 750 Milliarden Euro ist nämlich bis Mitte 2013 befristet. Künftig sollen wie bei einer Umschuldung auch private Gläubiger herangezogen werden können. Umstritten ist indes die deutsche Forderung nach einer Insolvenzordnung für Staaten, denen auch die Stimmrechte in EU-Gremien entzogen werden können. Dafür wäre eine Änderung der EU-Verträge nötig. KSt

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