Scheinargument von der Zeitersparnis

Stuttgart 21 folgt einer alten Idee – und schon »Frankfurt 21« und »München 21« scheiterten

  • Erich Preuß
  • Lesedauer: 2 Min.
Sind Kopfbahnhöfe prinzipiell veraltet? In Metropolen wie München, Frankfurt am Main oder Leipzig funktionieren sie ohne Probleme.

Die ersten Kopf- oder »Sackbahnhöfe« waren Kinder der Privatbahnära. Die Unternehmen drangen tief in die Städte vor. Allerdings wurden auch nach der Verstaatlichung große, zentrale Kopfbahnhöfe gebaut, in denen die Reisenden nicht mehr den Bahnhof, sondern nur noch das Gleis wechseln mussten. Der Leipziger Kopfbahnhof etwa eröffnete erst 1915, fasste vier Stationen zusammen und galt als eine der modernsten Anlagen in Europa.

Die Reisenden schätzten es, von Kopfbahnhöfen aus schnell in die Stadt zu gelangen. Doch für die Bahnen wurden sie tendenziell unwirtschaftlich: Durchgehende Züge mussten wenden und die Lok wechseln. Andererseits fiel dies in der Dampfbahnepoche nicht so auf, denn die Lok-Laufweiten waren ohnehin begrenzt, die Dienstzeit des Personals endete oft mit der Einfahrt in den Bahnhof.

Heutige Züge kennen solche Beschränkungen nicht. Ist der Kopfbahnhof also eine Bremse? Gegen den Stuttgarter Kopfbahnhof wird so argumentiert – obwohl gleiche Anlagen anderenorts nicht stören. Selbst der neue, teure City-Tunnel in Leipzig wird vom ICE-Verkehr gemieden.

Moderne Züge wenden, wo es nötig ist. Die Loks müssen nicht mehr ausgetauscht werden, bei guter Organisation fährt der Zug schnell weiter, täglich dutzendfach in Leipzig oder Nürnberg. Die Aufenthaltszeit von etwa drei Minuten unterbieten Durchgangsbahnhöfe kaum.

Dass ein kopfbahnhofsbedingter Aufenthalt in Stuttgart von einer Reise Paris-Bratislava oder Mannheim-Ulm abhalte, ist ein Scheinargument. Auch dass sich ein- und ausfahrende Züge auf Kopfbahnhöfen behinderten, stimmt nur teilweise. Kreuzungsbauwerke vermeiden solche Fahrtausschlüsse, etwa in Leipzig.

Die alte Idee von den Tunnel- Durchgangsbahnhöfen wärmte Heinz Dürr, der erste Vorstandsvorsitzende der Deutschen Bahn, 1994 auf. Seine Vision vom »Bahnhof 21«, der auch die Kopfbahnhöfe in Frankfurt am Main und München betraf, war aber zu teuer. In Stuttgart lockt die Vermarktung der frei werdenden Flächen, wenn der Kopfbahnhof abgeräumt ist. In ihn wurde seit Dürrs Ära nicht mehr investiert. Einige betriebliche Schwächen wären anderenfalls längst behoben.

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