Staatsanwaltschaft am Zuge

Juristischer Streit zu den Akten um den Tod von Jugendrichterin Kirsten Heisig

  • Peter Kirschey
  • Lesedauer: 3 Min.

Der 10. Senat des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg hat in dieser Woche entschieden, dass die Unterlagen der Berliner Staatsanwaltschaft zu den Todesumständen der Jugendrichterin Kirsten Heisig der Presse zur Verfügung gestellt werden müssen. Mit einer Eilentscheidung wurde die Staatsanwaltschaft verpflichtet, über die Todesursache und den -zeitpunkt sowie über Fundort und Auffindsituation der Leiche Auskunft zu erteilen. Gleichzeitig sollen alle Fakten offengelegt werden, die ein Fremdverschulden als Todesursache ausschließen.

Die Staatsanwaltschaft will nach Aussagen von Pressesprecher Martin Steltner die Gerichtsentscheidung zuerst prüfen, um dann entsprechend reagieren zu können. Keine Informationen hingegen soll es über mögliche Erkenntnisse zu den Hintergründen und Motiven der Selbsttötung geben.

Anfang Juli war die engagierte 48-jährige Richterin, Mutter von zwei Kindern, zunächst als vermisst gemeldet und dann im Tegeler Forst erhängt aufgefunden worden. Ein Fremdverschulden lag nach Auskunft der Staatsanwaltschaft nicht vor.

Justizsenatorin Gisela von der Aue nannte als mögliche Ursache für den Suizid Ereignisse aus dem persönlichen Bereich der Toten. Das war im Umkreis der Juristin jedoch angezweifelt worden. Sie sei eine lebensbejahende Frau gewesen, die zu keinem Zeitpunkt bereit war, vor ihren Aufgaben zu kapitulieren. Verschwörungstheorien gerieten in Umlauf. Von Gerüchten über eine unbequeme Richterin, die sich viele Feinde gemacht hatte, und mafiösen Strukturen, die den Tod Heisigs inszeniert und ihn dann als Selbsttötung getarnt hätten, war die Rede.

Heisig hatte sich als konsequente Kämpferin gegen die Jugend- und Bandenkriminalität in Berlin einen Namen gemacht. Die Jugendrichterin gehörte zu den Initiatoren des so genannten Neuköllner Modells, das zum Ziel hat, jugendliche Straftäter innerhalb von fünf Wochen nach der Tat zu verurteilten. Durch die üblichen langen Zeiten zwischen Tat und gerichtlicher Verurteilung könne sich kein Unrechtsbewusstsein bei den Jugendlichen entwickeln, war ihre Grundthese. Vielfach wüssten sie gar nicht mehr, wofür sie bestraft würden. Durch eine zeitnahe Verurteilung sollte die erzieherische Wirkung der Bestrafung sicht- und fühlbar werden. Dabei fand sie in allen Lagern breite Unterstützung. In ihrer Freizeit besuchte sie Schulen und Jugendklubs, um über Ursachen von Gewalt in der Gesellschaft aufzuklären.

In ihrem Buch »Das Ende der Geduld« , das erst nach ihrem Tod veröffentlicht wurde, plädierte sie für ein entschlossenes Handeln gegenüber jugendlicher Gewalt. Es ging ihr vor allem darum, den jungen Straftätern klar zu machen, dass sie mit ihren Gewalttaten die Menschenwürde anderer verletzen. Umso unerwarteter ihr Tod, da Heisig erst am Anfang ihrer Mission schien.

Ob nach Akteneinsicht neue Tatsachen über den Tod an das Tageslicht kommen, bleibt zweifelhaft. Das Oberverwaltungsgericht hat sich trotz seiner Entscheidung pro Aktenöffnung für besondere Zurückhaltung der Medien ausgesprochen, sieht aber im öffentlichen Bedürfnis nach Information und Schutz der Persönlichkeit keinen Widerspruch. Solange das Andenken nicht belastet und familiäre Umstände nicht thematisiert würden, stehe Akteneinsicht nichts im Wege, begründete das Gericht seine Entscheidung.

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