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To be or not to be

Christian Hesse über Mathematik, die glücklich macht

  • Günter Kröber
  • Lesedauer: 3 Min.

Verblüffend sind die Geschichten allemal, die in diesem Büchlein dargeboten werden. Und vielversprechend schon der Titel. Bücher mit alltagsweltlichen Geschichten und Kuriositäten erfreuen sich von jeher des Interesses einer breiten Leserschaft aller Altersgruppen. So auch das vorliegende mit seinen 151 faszinierenden kurzen Geschichten, die – brillant erzählt – uns verstehen lassen, dass das Buch der Natur tatsächlich in Mathematik geschrieben ist, wie Galilei es einst vermutete.

Ob wir im Supermarkt in einer Warteschlange stehen, auf einer Geburtstagsparty den Kuchen neidfrei in drei gleiche Teile zerteilen sollen, ob wir mit dem Handy telefonieren, im Internet surfen oder uns aus der Erdatmosphäre hinauskatapultieren und punktgenau auf einem Fleck auf dem Mond landen, von dem aus wir ebenso sicher wieder zur Erde zurückkehren – immer haben wir es mit mathematischen Zusammenhängen zu tun. Der Erfolg unserer Handlungen hängt davon ab, ob und wie gut wir diese Zusammenhänge kennen und zu nutzen verstehen. Mathematiker sprechen von ihrer Wissenschaft zu Recht als von einer Musik der Vernunft und haben ihre eigene Vorstellung von intellektueller Eleganz und Schönheit.

Der Autor präsentiert Mathematik nicht in Theoremen und Formeln, und nur bedingt

in Zahlen und Zeichen. Für ihn ist sie ein grenzenloser intellektueller Freiraum und ein gigantischer Abenteuerspielplatz des Denkens, eine Ordnungsmacht im Dschungel der Phänomene mit eigener Szene und eigener Szenensprache. Vornehmlich die imponierende Erklärungskompetenz statistischer Methoden dient immer wieder als Paradebeispiel für die Fähigkeit der Mathematik, verborgene Tatsachen ans Licht zu bringen. Ohne sie wüssten wir z. B. heute nicht, dass Shakespeares Wortschatz sich auf rund 665 000 Wörter bezifferte. Und ohne die Computersprache FORTRAN zu kennen, wüssten wir nicht, dass (2b).or.(not. 2b) ein Hamlet-Zitat ist. Ein Unglück kommt eben selten allein.

Christian Hesse, Professor für Wahrscheinlichkeitstheorie an der Universität Stuttgart, versteht es, seine Leser mit der Brille der Mathematik in viele Bereiche des Lebens hineinschauen und dort bemerkenswerte Dinge entdecken zu lassen. Indes: So wie die Mathematik gewiss nicht die einzige Quelle menschlichen Glücks ist, so ist Glück gewiss nicht allein an das Verständnis von Mathematik gebunden.

»Ist's nicht gleich, worüber ein Mensch glücklich ist? Ist's nicht die Hauptsache, daß er's ist?«, fragte einst Erwin Strittmatter. Und: »Es durchschwebt den Menschen eine Sehnsucht nach Glück, und er denkt, sobald mir jenes Auto, jenes Häuschen im Grünen, jener Garten am Fluß, jener Anzug oder jene Stiefel gehören werden, sobald ich meinen Nachbarn im Wohlstand überholt haben werde, ohne ihn eingeholt zu haben, werde ich glücklich sein, und es wird mir nichts mehr zu wünschen bleiben, und obwohl es tausend und mehr Arten von Glück zu geben scheint, gibt es für das Wort Glück keine Mehrzahl, und auch das Leben kümmert sich nicht um undialektische Vorstellungen des Menschen vom Glück ... alle Dinge, an die wir unser Herz hängen, sind flüchtig, und ihr Wert wandelt sich, und was uns heute beglückt, kann uns weinen machen, ehe der Hahn dreimal krähte.«

War Hippasos glücklich, als er die Irrationalität von Wurzel aus 2 entdeckt hatte? War er es noch, als ihn seine Gefährten deswegen im Meer ertränkten?

Christian Hesse: Warum Mathematik glücklich macht. C. H. Beck. 346 S., geb., 14,95 €.

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