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Damals im »Leseland«

Leipziger Poetikvorlesungen mit Christa Wolf, Volker Braun u.a.

  • Ralph Grüneberger
  • Lesedauer: 3 Min.

Diese Stunde gehört den Autoren«, Standardsatz des Germanisten Walfried Hartinger (1938-2003), Initiator und Organisator der Poetik-Vorlesungen, die von Oktober 1989 bis Januar 1990 an der Leipziger Karl-Marx-Universität stattfanden. Konzeptioneller »Anlass« für ein derartiges Unternehmen war der 40. Jahrestag der Gründung der DDR. Geplant waren Vorlesungen mit Autorinnen und Autoren, die zu den hochrangigen des Landes zählten.

Doch all das gehört in den »Anhang», denn auch die Dokumentation folgt der eingangs zitierten Prämisse. So ist ein Lese-Buch entstanden, das poetologische Positionen, poetische Proben und politische Bekenntnisse enthält und durch die ausdrückliche Nähe zum Zeitgeschehen sogleich jüngere Geschichte reflektiert.

Immer dienstags, zwischen 17 und 19 Uhr, waren die zehn Poetik-Lesungen angesetzt. Sie begannen mit Jurij Brezan und Joachim Nowotny, den damaligen Vizepräsidenten des Schriftstellerverbandes der DDR. Dabei wird Woche um Woche umso deutlicher, wie die Tagesaufgaben, in die sich Helga Königsdorf und Christa Wolf, Christoph Hein und Volker Braun eingebunden fühlten, die Arbeit am eigenen Werk be- oder gar verdrängten.

Eine Reihe der Eingeladenen gehörte längst auch offiziell zu den politisch Aktiven, wozu in der DDR explizit auch das Eintreten für den Schutz der Umwelt zählte. Selbst ein Feingeist wie Rainer Kirsch, der sonst keine Möglichkeit ausließ, das »Amt des Dichters« zu heiligen, forderte mit einem Schuss Anarchie die 1952 beseitigten Ländergrenzen zurück: »Zu Ulbrichts Untaten ... zählt ja nicht nur die Abschaffung des Lateinunterrichts und der Abriß der Leipziger Universitätskirche, sondern auch das Zerschlagen der geschichtlich gewachsenen territorialen Gliederung ... Eine reformierte DDR braucht daher die Wiedereinrichtung der Länder.«

Nun, die DDR ging, die (neuen) Länder kamen. Das war dann auf den Tag genau ein Jahr nach der ersten Vorlesung, als kein 41. Jahrestag der DDR mehr stattfand. 1989 war noch von Reform die Rede, von Veränderung, wurde noch laut (und kollektiv) darüber nachgedacht, ob der Partei, die sich Partei der Arbeiterklasse nannte, eine führende Rolle zuzukommen habe.

Helga Königsdorf als Professorin – im Gegensatz zu Erich Köhler oder Jurij Koch – an das Vorlesungsritual gewöhnt und auch im Nachdenken über die wirtschaftlichen Folgen des Niedergangs geübt, ist im November 1989 noch von ihren Idealen geprägt, aber deshalb nicht getrübt im Blick: »Ich persönlich bin sehr dafür, daß die Partei, der ich angehöre, eine führende Rolle spielt, und zwar nicht durch Dekret oder Administration, sondern durch Qualität und Überzeugungskraft ihrer Konzepte. Eine Partei, die jedoch nicht einmal eine funktionierende innere parteiliche Demokratie vorweisen kann, ist für die Führung einer demokratischen Erneuerung nicht überzeugend.«

Den Schlusspunkt der Vorlesungen setzte im Januar 1990 der spätere Gründungsdirektor des Deutschen Literaturinstituts Bernd Jentzsch. Ehe er in Versen sprach, las er seinen als Replik auf die Biermann-Ausbürgerung verfassten Brief an Honecker vor ...

Es war einmal ein »Leseland« – das Buch ist eine Fundgrube für alle, die sich weiter mit DDR-Literatur beschäftigen wollen. Schließlich weiß man, dass Bücher Staaten überleben.

Wie sagte es Christoph Hein: »Die DDR wurde in ihrem vierzigsten Jahr weltläufiger, denn es ist Weltläufigkeit, wenn wir Bilder, die wir bisher aus Chile oder China zu sehen bekamen, auf unseren Straßen erblicken können.«

... diese Stunde gehört den Autoren. Leipziger Poetik-Vorlesungen im Herbst 89. Hrsg. Christel Hartinger, Antonia Opitz, Roland Opitz. Leipziger Universitätsverlag. 226 S., brosch., 22 €, geb., 29 €

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