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Erfindungen zum Ruhme Gottes

Eckart Roloff über ein wenig beachtetes Kapitel unserer Geistes- und Bildungsgeschichte

  • Martin Koch
  • Lesedauer: 5 Min.
Das Verhältnis von Wissenschaft und Religion war in der Geschichte oftmals komplizierter als landläufig angenommen. Zwar haben sich einerseits viele Theologen den Innovationen der Wissenschaft verweigert. Andere jedoch, so ist in einem Buch jetzt nachzulesen, wurden selbst zu wichtigen Trägern des Erkenntnisfortschritts.
Geistlicher und Forscher: Sebastian Kneipp
Geistlicher und Forscher: Sebastian Kneipp

»Wie schad, dass ich kein Pfaffe bin./ Das wäre so mein Fach./ Ich bummelte durchs Leben hin/ Und dächt' nicht weiter nach.« So beschrieb einst Wilhelm Busch das, wie er meinte, beschauliche Leben der berufenen Diener Gottes. Ganz falsch lag er damit sicher nicht. Denn statt selbst den schweren Weg der Erkenntnis zu gehen, folgten viele Priester lieber den offiziellen Verlautbarungen ihrer Kirche, die häufig darauf zielten, den Erkenntnisdrang von Wissenschaftlern zu behindern oder gar zu sanktionieren. Das alles ist hinlänglich bekannt und soll – Stichwort Galileo Galilei – hier nicht weiter ausgeführt werden.

Was hingegen mehr Aufmerksamkeit verdient, ist die Tatsache, dass auch unter den Entdeckern und Erfindern zahlreiche Männer im Priestergewand waren. Zu den Bekanntesten zählt zweifellos der katholische Pfarrer Sebastian Kneipp (1821-1897), der Menschen ohne medikamentöse Behandlung mit Wasseranwendungen zu heilen versuchte. Und der einmal erklärte: »Ich lobe den Fortschritt in vielen Wissenschaften und freue mich desselben.« Diese Freude teilte Kneipp mit anderen Priestern, von denen allerdings nur wenige das Glück hatten, deswegen in die Geschichtsbücher einzugehen. In seinem kenntnisreich geschriebenen Buch »Göttliche Geistesblitze« stellt der Bonner Soziologe und ND-Autor Eckart Roloff jetzt einige dieser kreativen Kirchenmänner vor, die gleichsam eine Tradition fortführten, die weit entfernt war vom eifernden religiösen Dogmatismus des 16. und 17. Jahrhunderts.

Die Rede ist von der Klosterkultur des Mittelalters, ohne welche die wissenschaftliche und technische Entwicklung des Abendlandes kaum denkbar erscheint. Denn in ihren Klöstern stellten Mönche nicht nur Bier und Wein her. Sie erforschten die Gestirne ebenso wie die Heilkraft der Kräuter und fertigten Kalender an. Und sie waren fleißige »Abschreiber«, die das in zahllosen Manuskripten festgehaltene Wissen ihrer Zeit für die Nachwelt bewahrten. Darin lag eine der größten intellektuellen Leistungen des Mönchtums, sagt Roloff und verweist darauf, dass es nach der Erfindung des Buchdrucks wiederum ein Pfarrerssohn war, Johann Carolus, der 1605 in Straßburg mit der »Relation aller Fürnemmen und gedenckwürdigen Historien« die erste Wochenzeitung der Welt herausgab. Aus mittelalterlichen Dom- und Klosterschulen gingen in Europa bekanntlich die ersten Universitäten hervor, deren älteste im Jahr 1088 in Bologna gegründet wurde. Im 12. Jahrhundert entstanden während einer zweiten Gründungswelle die Universitäten von Paris, Oxford, Salamanca und Padua, derweil man im deutschen Sprachraum hinter dieser Entwicklung zurückblieb. Erst im 14. und 15. Jahrhundert wurden unter anderem die Universitäten Heidelberg (1386), Leipzig (1409), Rostock (1419), Greifswald (1456) und Tübingen (1477) eröffnet, die seither ohne Unterbrechungen Studenten ausbilden.

Und obwohl die frühen Hochschulen am Tropf der Kirche hingen, stellte die mittelalterliche Universität nach einem Wort des Historikers Werner Fläschendräger eine »neue Stufe in der Geschichte des Bildungswesens« dar. Denn die hier Lehrenden und Studierenden beförderten nachhaltig den Aufstieg des Humanismus und der Aufklärung, in deren Sog auch zahlreiche Priester gerieten, die im Schatten der Religion den Weg zur Wissenschaft fanden – getreu der Maxime des Franziskanermönchs Roger Bacon (1214-1292), wonach menschliche Erfindungen im Grunde »Nachahmungen der göttlichen Werke« seien.

Die Liste der Dinge, an deren Erfindung auch Geistliche mehr oder weniger beteiligt waren, ist lang. Sie reicht von der Rechenmaschine über den Blitzarbeiter bis hin zur Waschmaschine. Bereits 1663 entwickelte der Jesuit Francesco Lana Terzi eine Ballontheorie und sah vor seinem geistigen Auge das erste Luftschiff fliegen. Nicht lange danach konstruierte sein Ordensbruder Bartolomeu Lourenço de Gusmão einen Flugapparat, der am Hof des portugiesischen Königs tatsächlich meterweit durch die Luft segelte. Erwähnt sei überdies der katholische Priester Roberto Landell de Moura, der 1904 in den USA ein Patent für einen drahtlosen Telegrafen erwarb und der nach Auffassung einiger Historiker mit seinen Ideen sogar dem Italiener Guglielmo Marconi zuvorgekommen sei. Exakt belegen lässt sich das heute freilich nicht mehr, zumal die Kirche wenig tat, um Landell zu unterstützen oder an seine Leistungen zu erinnern.

Roloffs Buch ist eine wahre Fundgrube für jeden, der sich für Wissenschaft und Geschichte interessiert. So geht der Autor unter anderem der Frage nach, ob der mutmaßliche Erfinder des Schwarzpulvers, der Freiburger Franziskaner Berthold Schwarz, überhaupt gelebt hat oder nur eine fiktive Gestalt ist. Ausführlich schildert das Buch auch die Auseinandersetzung zwischen dem Jesuitenpater Christoph Scheiner und Galileo Galilei über die Deutung der Sonnenflecken, bei welcher Galilei sich nicht scheute, seinen Kontrahenten bisweilen einen »Saukerl« und »bösartigen Esel« zu nennen. Und natürlich darf in einem Buch mit dem Titel »Göttliche Geistesblitze« auch der Augustinermönch Gregor Mendel nicht fehlen, dem Kritiker gelegentlich vorwarfen, er sei auf seine Vererbungsregeln durch betrügerische Manipulationen gestoßen. Roloff hält diesen Vorwurf mit Recht für unhaltbar und zeigt stattdessen, wie Mendel aus einem Wust von Zahlen und Tabellen die Regeln der Vererbung »genial erraten« hat, um ein nachmals geläufiges Wort von Albert Einstein zu gebrauchen.

Im letzten Abschnitt des Buches wird der Umgang der Kirche mit Innovationen unserer Zeit thematisiert. Zumindest an dieser Stelle hätte ich mir ein paar kritische Worte mehr gewünscht über jene geistlichen Würdenträger, die Naturforschern noch immer vorschreiben wollen, was und wie weit sie denken dürfen, um die angeblichen Hoheitsrechte der Theologie nicht zu verletzen. Der neuerliche Aufstieg des Kreationismus und des Intelligent Design auch und vor allem in Europa liefert hierfür ein beredtes Beispiel. Doch das nur nebenbei. Ansonsten bleibt zu hoffen, dass Roloffs Buch über ein wenig beachtetes Kapitel unserer Geistes- und Bildungsgeschichte eine breite Leserschaft findet.

Eckart Roloff: Göttliche Geistesblitze. Pfarrer und Priester als Erfinder und Entdecker. Wiley Verlag Weinheim, 357 S., 24,90 Euro.

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