Deutsche Bahn, eine Winterrealität

Personalabbau und Mangel an Fahrzeugreserven erklären, warum Schneefall für Chaos sorgt

  • Erich Preuß
  • Lesedauer: 3 Min.
Der Winter ist gar nicht so schlimm, dass er als Begründung für die seit Tagen andauernden Probleme bei der Deutschen Bahn herhalten kann.

Alt-Eisenbahner sind fassungslos: Wie kann eine Bahn empfehlen, bleibt uns vom Halse? Die Reisenden sollten auf weniger nachgefragte Zeiten ausweichen, hieß es in einer Mitteilung der Deutschen Bahn (DB) am Sonntag, oder ganz wegbleiben. Bis Weihnachten werden die Fahrkarten gratis zurückgenommen. Fast zeitgleich hatte die Lufthansa ihrer Klientel geraten, in die Züge zu steigen.

Dass die Deutsche Bahn in schweren Zeiten aushelfen soll, könnte sie mit Stolz erfüllen – zumal die Empfehlung ausgerechnet aus jenem Luftfahrt-Unternehmen kam, das ihr lange ein Vorbild war. Stattdessen reagiert sie hilflos und greift zu einer inzwischen abgenutzten Geste: Der DB-Personenvorstand Ulrich Homburg bittet jene, die ihr Ziel nicht pünktlich oder gar nicht erreichen, um Vergebung. Und beteuert, die Bahn werde alle Fahrgäste zu Weihnachten an ihre Reiseziele bringen.

Was ist los mit einem Verkehrsbetrieb, den dessen einstiger Chef Hartmut Mehdorn als den besten der ganzen Welt pries? Homburg dagegen will sein Unternehmen lieber nicht mit den Bahnen in Österreich und der Schweiz vergleichen, die viel besser mit Frost und Schnee zurechtkommen. Fatal ist, dass ein Teil der Bundesbürger das Versagen der Transporteure im Winter, voran der Deutschen Bahn, bereits als normal ansieht. Vergessen ist, dass sowohl für die Bundesbahn als auch für die Deutsche Reichsbahn dank monatelanger Vorbereitung Frost und Schnee früher kein echtes Problem waren – allenfalls mal 24 Stunden lang.

Natürlich ist die Bahn gegen Schneeverwehungen machtlos, weil sie für ihren Betrieb Weichen mit beweglichen Zungen benötigt. Sofern auch nur ein Klümpchen Schnee zwischen Zunge und Backenschiene klebt, meldet die Sicherungsanlage: Störung. Dann lässt sich auch kein Signal auf Fahrt stellen. Die Weichenzunge darf nicht klaffen, denn das wäre gefährlich. Aber dieser Notstand ist längst vorüber – und trotzdem jammert die DB weiter über den Unbill der Witterung, obwohl, wie Vorstand Homburg beteuert, »unsere Leute trotz der extrem widrigen Umstände immer noch Unglaubliches leisten«. Reisende werden sich freilich fragen: Welche Leute? Auf vielen Bahnhöfen, auf weiten Strecken wurde das Personal abgeschafft, kein Stellwerk ist besetzt, kein Bahnhofsvorsteher da, kein Eisenbahner verfügbar, der in seiner Ruhezeit zum Bahnhof käme, um beim Schaufeln und Kehren zu helfen. Das ist die andere Seite der Medaille der Entpersonalisierung. Die Betriebswirtschaftler und Juristen in den Führungsetagen sind für den Winterbereitschaftsdienst ungeeignet, weil sie nie gelernt haben, wie man eine Weiche auskehrt. Stattdessen erklären sie ständig, Eisenbahner brauche man dafür nicht, Fremdbetriebe könnten das billiger und besser. Der DB-Bereich Fahrweg erwirtschaftet seinen Gewinn nicht nur aus den Trassengebühren, sondern auch durch die Personaleinsparung.

Im vorigen Jahr nahm der Bereich fast 200 elektronische Stellwerke in Betrieb, die meist aus der Ferne gesteuert werden – wie Görlitz von Leipzig oder Teterow von Burg Stargard aus. Diese kostengünstige Automatisierung des Eisenbahnbetriebs ist freilich nicht wintertauglich. Erst recht nicht, wenn es an der Winterbereitschaft fehlt. Wie ND aus der Betriebszentrale Leipzig erfuhr, standen in der ersten Schneenacht vom 1. zum 2. Dezember auf dem großen Hauptbahnhof in Leipzig insgesamt drei Kehrer und zwei Sicherungsposten zur Verfügung! Durch die zu spät alarmierten zusätzlichen Kräfte wuchs der Bestand auf zwölf Kehrer und fünf Sicherungsposten. Immer noch zu wenig. Jetzt mussten Fahrprogramme ausgearbeitet werden, die ihren Namen nicht verdienten, sondern eher Ausfallprogramme waren.

Da es auch bahnintern mit der Information haperte, verloren die Zuständigen von DB-Regio und DB-Fernverkehr rasch den Überblick über Wagen- und Personalumläufe. Sie konnten nur erraten, was und wer wo unterwegs war. Hinzu kommt der gravierende Mangel an Fahrzeugreserven. Die ohne Not optimierten Kapazitäten, um sich »fit« für einen Börsengang zu machen, schlagen auf den Kunden zurück. Und die politisch Zuständigen wie Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) schauen zu und loben sogar, wie sich ein Unternehmen der öffentlichen Daseinsvorsorge allmählich abschafft.

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