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»Ach so, Sie sind aus der DDR?«

Heinz Czechowski hatte Glück und kam 1977 nach Paris

  • Horst Nalewski
  • Lesedauer: 5 Min.

Als Motto seines Buches wählte Heinz Czechowski ein Paustowski-Zitat: »Aber selbst wenn ... der Mensch stirbt, ohne Paris gesehen zu haben, so hat er es sicherlich doch wenigstens in seinen Gedanken oder in seinen Träumen mehrmals besucht.«

Dem Dichter Heinz Czechowski war »das Glück gewogen« gewesen, im Januar 1977, um eines Verlagsauftrags willen, für zehn Tage die Metropole besuchen zu dürfen. Ein Privileg, das die DDR gelegentlich Autoren gewährte. Es entstand im Sommer 1978 – in bewusst gewählter Abgeschiedenheit, in Wuischke am Czorneboh (Lausitz) – der Text »Von Paris nach Montmartre.

Erlebnis einer Stadt« mit Fotos des Autors. Erschienen 1981 im Mitteldeutschen Verlag Halle; ein Jahr vor dem erfüllten Auftrag, den »Dichtungen, Essays und Briefen« von Iwan Goll, erschienen bei Reclam Leipzig, herausgegeben von Klaus Schuhmann mit Nachdichtungen von Heinz Czechowski. Beide hatten die 86-jährige Claire Goll, Frau des 1950 verstorbenen Dichters Iwan Goll, noch besuchen können.

Ein Poet »erlebt« jene Stadt im Jahr 1977; und es entsteht ein Büchlein von 134 Seiten: ein Juwel! Freilich nur für denjenigen, dem das Gesicht dieser Stadt – mit dem immensen Verkehr, der lichtflutenden Reklame, der vielgestaltigen Population, der architektonischen Veränderungen (»Modernisierungen«) – bewusst werden kann in der allgegenwärtigen Vergangenheit: den Kirchen, den Palästen, den Denkmalen, den Museen, den hochragenden Straßenzügen, den Parks, den Plätzen, den Friedhöfen ... Namen über Namen in dieser klangvollen Sprache, exzessiv gesetzt, als würde sie dem Dichter wie Musik in den Ohren klingen.

Die Fahrt im Kurswagen der Mitropa, eingefügt in die Strecke Warschau-Paris, abverlangt dem Reisenden schon ein Bekenntnis, das dem Zensor gewiss suspekt war: » ... ›Ach so, Sie sind aus der DDR!‹ Dabei – fast immer – ein gelindes Erstaunen, wenn man sich, wider Erwarten, nicht gleich strammstehend zu dem Staat bekennt, dem man angehört, sondern schlichter von Dresden, Halle oder gar einem Flecken in der Lausitz spricht, wo man zu leben gewillt ist, weil man sich dort zu Hause fühlt.«

Angekommen. Tagelang im Verwundern darüber, angekommen zu sein. »Man erinnert sich plötzlich an Bobrowskis aufhellenden Satz, in der Stadt habe der Mensch fünf, auf dem Lande sieben Sinne ... Wie vieler Sinne bedürfte man wohl hier, um endlich doch zu glauben, man sei in Paris, und um zu erleben, wie das wahr wird?«

Nicht der Eiffelturm ist es, dem Aufmerksamkeit gezollt wird. Bewunderung gilt der Kathedrale Notre Dame, am ältesten Ort der Stadt, der Ile de la Cité: »... man weiß für einen Augenblick ... , dass dieser Anblick zu jenen Glücksmomenten gehört, von denen man im Leben nur wenige erfährt«.

Angekommen. Im dritten Versuch ein höchst bescheidenes Hotel gefunden – dem sehr »schmalen Budget« entsprechend – ; tatsächlich vom 4. Stock aus mit dem Blick »auf die im Dunst schwimmenden Türme von Notre Dame«. Folgen wir dem Dichter zu Fuß, per Bus, per Metro durch die Stadt, denn »kostenlos ist der Blick auf alles, was uns an Geschichte erinnert«, dann erleben wir einen anderen Heinz Czechowski als den, von dem anlässlich seines Todes im Oktober 2009 vielerorts geschrieben werden musste: vereinsamt, verbittert, ungerecht, mit aller Welt verquer, allenfalls »ein großer deutscher Elegiker ...« Der Zehnjährige hatte 1945 das Dresdner Inferno erlebt: » ... ohne Hoffnung / Jemals genesen zu können / Von den Erschrecknissen meiner Kindheit«. Die DDR – anfangs eine Hoffnung, das »bessere Land«, am Ende – »dreimal verflucht«. Eine Heine-Reminiszenz.

Angesichts der überbordenden Konsumwelt, die doch nicht das Ziel sein kann, fällt das Wort von der »Kraft der Vernunft, an die wir ja glauben«, und es erfolgt die Hinwendung zu dem als verpflichtend empfundenen Vergangenen. Für Czechowski wird das anschaubar vor den letzten Ruhestätten all der Großen von Kunst und Literatur auf den Friedhöfen Père Lachaise und Montmartre: Molière, Beaumarchais, David, Delacroix, Börne, Chopin, Bizet, Wilde, Proust, Goll ... und Stendhal, Heine, Berlioz, Zola ... Sind diese Friedhöfe auch jetzt, im nasskalten Januar, von Besuchern leer – anders in der schöneren Jahreszeit; da, hört man, auch von Katzen, kleinen Taschendieben und auf den buschigen Seitenwegen von Liebespärchen besucht –, so stand doch für ihn von allem Anfang an fest: Hier einzig musste er gewesen sein.

Und man glaubt ihm das Pathos vor der Mauer der hingemetzelten Kommunarden von 1871: »... deren Niederlage nicht in einen Sieg umgemünzt werden kann, deren Geist aber fortgezeugt hat, was heute und hier uns bewegt: die Vermenschlichung dieses Planeten, die über die Massengräber Leningrads, Buchenwalds, Dresdens führt«.

Dann schließlich ein langes Verweilen vor dem Grabmal Heinrich Heines; dessen an diesem Ort erinnerten Verse könnten schon so etwas wie eine insgeheime Identifikation gestiftet haben; dreißig Jahre später wären sie dem Dichter Heinz Czechowski immer noch gültig gewesen: »Ich hatte einst ein schönes Vaterland./ Der Eichenbaum / Wuchs dort so hoch, die Veilchen nickten sanft./ Es war ein Traum.«

Und so schließt das Büchlein abermals mit einem Traum: Er, der Autor, hätte einen Brief, eine angebotenen Begegnung von einem Großen der französischen Literatur erhalten – er wird nicht genannt; allein, wir erraten ihn –. Ein Traum.

Wer bisher nicht wusste, was ein schönster dichterischer Einfall ist, hier, im letzten, XII. Kapitel, überschrieben: »Die Einsamkeit des Lesers«, könnte er es erfahren.

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