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PLATTENBAU

  • Andreas Kötter
  • Lesedauer: 3 Min.

Portland in Oregon ist eine eher verschlafene Stadt des pazifischen Nordwestens der USA, aber für die junge Komponistin, Bassistin und Sängerin Esperanza Spalding wurde sie zum Ausgangspunkt einer Reise ins Jazz-Wunderland: Nach dem Abschluss an der heimischen Hochschule ermöglichte ihr das außergewöhnliche Bass-Spiel ein Stipendium am renommierten Berklee College of Music. Bereits mit 20 Jahren unterrichtete sie ihre eigene Klasse.

Inzwischen ist sie nicht nur eine gefragte Begleiterin in Bands von Größen wie Joe Lovano oder McCoy Tyner, sondern – ungewöhnlich für eine Jazz-Musikerin – neben Hitmaschinen wie Justin Biber und Drake bei den Grammys in der Kategorie »Bester neuer Künstler« nominiert. Dabei ist sie doch mit ihrer dritten Veröffentlichung »Chamber Music Society« endgültig von einer heißen Hoffnung zu einer festen Größe im Jazz avanciert. Eine Entwicklung, deren Tempo so atemberaubend ist wie ihre Bassläufe: Noch vor vier Jahren erschien die Wunschliste der Musiker, mit denen sie zusammenspielen wollte, so utopisch wie der Wunsch eines Fünftliga-Kickers, in den Reihen der Nationalmannschaft zu glänzen: Stevie Wonder, Richard Bona, Brian Blade, Stanley Clark … Heute ist all das passiert. Jetzt, im Vorfeld ihrer neuen Veröffentlichung, hat sich sogar die Jazz-Saxophon-Koryphäe Wayne Shorter in die Diskussion um die Track-Folge mit eingeschaltet: Man kann sagen, dass die manchmal etwas trägen Jazz-Giganten Esmeralda Spalding mit offenen Armen empfangen haben.

Natürlich mag die mädchenhafte Schönheit der inzwischen 26-Jährigen gegenüber den älteren Herrschaften des Jazz nicht unbedingt hinderlich gewesen sein, aber dass diese Herren Esperanza Spalding neben sich nicht nur gut aussehen, sondern auch anhören lassen, beweist etwa das betörende Duett »Apple Blossom« mit dem brasilianischen Musiker Milton Nascimento auf ihrer aktuellen Veröffentlichung. Wie ein Mauersegler stürzt ihre Stimme in ihrer eigenen Komposition »Really Very Small« aus luftigen Höhen tollkühn lustvoll wirbelnd herab, um gleich darauf dieselbe atemberaubende Figur in neuer Variante zu wiederholen. Die Interpretation des Klassikers »Wild is the Wind« ist ein akustischer Orkan, der zu den Höhepunkten des Albums gehört.

Der Eindruck des Neuen bestätigt sich, weil die hochkomplexen Ausdrucksformen des Jazzrepertoires nicht in kulminierenden Soli über einfache Themen verschwendet werden. Stattdessen werden adäquate Formen für die in ihren Liedern erzählten Geschichten (für die sie auch auf Texte des Poeten William Blake zurückgreift) durchkomponiert, ist über den Umweg von Folk, R&B und Pop das Kunstlied genuiner Ursprung dieses faszinierend vielfältigen Hör-Erlebnisses.

Das Sehnen danach, sie endlich auch in Deutschland einmal live erleben zu dürfen, wird aber nicht nur von ihrem brillanten Bass-Spiel, ihrem virtuosen Gesang und ihren vielschichtigen Kompositionen genährt, sondern vor allem auch durch die offene Selbsteinschätzung ihrer tänzerischen Fähigkeiten: »Ich kann nichts dagegen tun – immer versuche ich, mein Tanzen am Bass einzuschränken, weil ich glaube, wie ein Idiot auszusehen. Aber dann bricht es aus mir heraus und ich kann es nicht mehr kontrollieren…«

Esperanza Spalding: Chamber Music Society (Telarc Jazz)
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