Marokko – ein Hort der Stabilität?

Mohammed VI. beugte Unruhen vor / Arbeitslosigkeit und Korruption sorgen dennoch für Unmut

  • Nissrine Messaoudi, Rabat
  • Lesedauer: 3 Min.

»Mubarak sollte sich dem Willen des Volkes beugen, wenn er noch ein Fünkchen Ehre besitzt.« So lautet der allgemeine Tenor im nordafrikanischen Marokko seit Beginn der Proteste in Ägypten. Doch bei aller Sympathie für die Aufstände der Nachbarn in Algerien, Tunesien und Ägypten – in Marokko ist die Lage entspannt.

Vor dem Parlamentsgebäude in der Hauptstadt Rabat versammelte sich am Dienstag eine kleine Gruppe arbeitsloser Hochschulabsolventen, um gegen die hohen Arbeitslosenzahlen in Marokko zu demonstrieren. Der Protest lässt sich jedoch nicht auf den neu entfachten Kampfgeist in der Region zurückführen. Seit Jahren machen junge Akademiker auf diese Weise auf ihre missliche Lage aufmerksam. Zu Aufständen gegen die Erhöhung der Preise für Lebensmittel und Treibstoff, die in den benachbarten nordafrikanischen Staaten Protestwellen auslösten, kam es in Marokko im laufenden Jahr bislang nicht.

Dennoch finden die Forderungen der Ägypter breite Unterstützung in der Gesellschaft. »Wir sind solidarisch mit dem ägyptischen Volk. Mubarak war lange genug an der Macht. Er hat der Bevölkerung nur Armut und Repressionen beschert, nun sollte er endlich sein Amt aufgeben«, sagt Amina Bujama. Die arbeitslose Ingenieurin versteht den Ärger der Ägypter gut, bezweifelt jedoch, dass Marokko dem Beispiel Tunesiens und Ägyptens folgen werde. »Unser Oberhaupt ist ein König und kein Präsident. Außerdem kann man Marokko mit Ägypten in vielerlei Hinsicht nicht gleichsetzen«, erklärt die 25-Jährige. Das sieht das US-amerikanische Hudson-Institut ähnlich. In einer am Montag veröffentlichten Studie bezeichnete das politische Institut Marokko als »stabilstes Land der Region«, dessen Reformen für andere arabische Staaten vorbildlich seien.

Indes begegnete König Mohammed VI. etwaigen Unruhen gleich zu Anfang mit einem geschickten Schachzug: Noch bevor sich in Ägypten die Lage verschärfte, kündigte er an, einen Teil der Preissteigerungen für Lebensmittel nicht dem Volke aufzubürden, sondern die Differenz aus der Staatskasse zu zahlen. Auch die moderaten Veränderungen, die der König seit seinem Amtsantritt 1999 vorgenommen hat, blieben vom marokkanischen Volk nicht unbemerkt. Nicht nur, dass Reformen seit dem Jahr 2000 die Frauenrechte stärkten. Demonstrationen sind hierzulande, anders als früher in Tunesien und Ägypten, durchaus üblich. Nichtregierungsorganisationen und Parteien gehören zum politischen Leben Marokkos.

Doch das Standbild des königlichen Reformers scheint an einigen Stellen zu bröckeln. Die hohe Arbeitslosenrate unter den Jugendlichen, die rund 25 Prozent beträgt, fehlende soziale und wirtschaftliche Entwicklungen und die anhaltende Korruption befeuern allmählich auch den Ärger der marokkanischen Bevölkerung. Erst kürzlich veröffentlichte Wikileaks Berichte ehemaliger US-amerikanischer Diplomaten, die behaupteten, dass »sich die Korruption, die schon zu Zeiten Hassans II. existierte, mit Mohammed VI. weitgehend institutionalisiert hat«.

Korruption sei das größte Problem Marokkos, meint auch Amina Bujama. »Die da oben sorgen dafür, dass Marokko auf der Stelle tritt. So lange sich das nicht ändert, werden wir nicht weiter- kommen.« Mohammed VI. sei weder wie Mubarak noch wie Ben Ali, deshalb erwartet Bujama vom König Maßnahmen, die der Bevölkerung zugutekommen und vor allem Jugendlichen eine Perspektive eröffnen. »Eine bessere Zeit für Veränderungen gibt es doch nicht.«

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal