»Olaf, Olaf«

Genossen feiern Olaf Scholz wie einen Popstar, CDU bereut »Zugeständnisse« an die GAL

  • Lesedauer: 3 Min.

Von Folke Havekost und Volker Stahl

Hamburg sieht wieder Rot: Die Sozialdemokraten errangen bei den vorgezogenen Bürgerschaftswahlen die absolute Mehrheit. Olaf Scholz wird der 13. Bürgermeister nach 1945.

Um 18.33 Uhr bahnt sich der Spitzenkandidat den Weg durch eine dichte Menschenmenge auf der SPD-Wahlparty im alternativen Kulturzentrum Fabrik im Stadtteil Altona. »Olaf, Olaf«, skandieren die Genossen. Zwei Minuten spricht Scholz mit seiner Frau Britta Ernst, dann tritt er auf die Bühne. »Wir werden das, was wir vor der Wahl gesagt haben, auch hinterher tun«, beteuert der 52-Jährige und erklärt seinen Wahlerfolg: »Die Bürgerinnen und Bürger sind für eine pragmatische Politik zu haben, die wirtschaftliche Vernunft und sozialen Zusammenhalt nicht als Gegensatz sieht. So soll es in Zukunft wieder sein.« Im Internet liegt die SPD derweil danieder, die Website ist überlastet. »Server braucht zu lange«, melden die Browser.

In der Stunde des Triumphs mahnen die führenden Genossen zur Bescheidenheit. »Es herrscht ganz große Freude, aber kein Triumphgeheul«, kommentiert Innenexperte Andreas Dressel. »Wir nehmen das Vertrauen, das uns geschenkt wurde, sehr ernst«, sagt Scholz und schließt seine Rede mit dem Kommando »An die Arbeit!«

Der ehemalige Bundesarbeitsminister, der wegen seiner spröden Aura lange als »Scholzomat« verspottet wurde, hatte der zerstrittenen SPD nach dem Bruch der schwarz-grünen Koalition wieder eine Machtperspektive eröffnet. Die Stadt wieder »ordentlich regieren« zu wollen, kündigte er an. Scholz ist der Gegenentwurf zum illustren Großstadtkonservativen Ole von Beust, nach dessen Rücktritt im Sommer 2010 die schwarz-grüne Regierung nicht mehr in Tritt kam.

Beust-Nachfolger Christoph Ahlhaus versuchte sich in Ermangelung eines Amtsbonus als Wadenbeißer – vergebens. Die CDU erreichte nur noch knapp über 20 Prozent der Stimmen. Der Verlust von über 20 Prozentpunkten übertrifft sogar den Niedergang des Polit-Desperados Ronald Schill bei den Wahlen 2004. Wie verbraucht die Regierung am Ende war, verdeutlichte der parteilose Wirtschaftssenator Ian Karan. Er sehe das Ergebnis »mit einem lachenden und einem weinenden Auge«. Weinend zwar, weil Ahlhaus »keine Chance« hatte; lachend jedoch, »weil ich nun mein eigenes Leben wiederhaben kann«.

»Das ist ein schmerzhaftes Ergebnis, das uns in Ratlosigkeit stürzt«, erklärte Ahlhaus selbst, der zunächst auf einen Auftritt im Wahlzentrum CCH verzichtete und zuerst vor seine eigenen Parteifreunde trat. Der scheidende Stadtchef machte die letzten Monate des schwarz-grünen Regierungsbündnisses für das Debakel verantwortlich. »Diese Koalition zu versuchen, war richtig. Falsch war es aber, zu weite Zugeständnisse gegenüber dem kleineren Partner zu machen. Die Lehre über den heutigen Tag hinaus lautet: Unsere Grundpositionen dürfen zu keiner Zeit zur Disposition stehen.«

Auch die Grünen wurden für ihr Experiment abgestraft, unter zehn Prozent sind in einer Stadt wie Hamburg ernüchternd. Die Bewerbung als grünes Korrektiv zur erwarteten SPD-geführten Regierung verfing nicht – viele Wähler aus dem grünen Milieu entschieden sich lieber gleich für die SPD und Scholz. »Es war klar, dass wir uns nicht komplett von der CDU lösen konnten«, resümierte GAL-Fraktionschef Jens Kerstan.

Die Linkspartei verbesserte ihr 6,4-Prozent-Ergebnis von 2008 leicht und schaffte damit erstmals den Wiedereinzug in ein westdeutsches Parlament. »Dass ausgerechnet jemand gewinnt, der für Hartz IV mitverantwortlich ist, ist eine bittere Sache«, kommentierte Joachim Bischoff den Wahlsieg der sozialdemokratischen Konkurrenz.

Freude herrschte bei der FDP, die mit ihrer feschen Spitzenkandidatin Katja Suding knapp sechs Prozent erreichte und erstmals seit 2004 wieder ins Landesparlament einzieht – auch weil es erstmals die Möglichkeit zum Stimmensplitting gab. Inklusive der Kommunalwahlen hatten die Wähler 20 Stimmen zur Verfügung. Nur jeder siebte Hamburger »panaschierte« allerdings auf verschiedene Parteien. »Wir haben auch für uns überraschend festgestellt, dass die Wahlberechtigten, je näher der Wahltermin heranrückte, immer weniger die Absicht hatten, zu panaschieren«, erklärte Matthias Jung, Leiter der Forschungsgruppe Wahlen. Tendenziell, so der Meinungsforscher, begünstige das neue Wahlrecht die kleineren Parteien.

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