Subcomandante Marcos meldet sich zurück

Sprecher der Zapatisten bezeichnet Mexikos Drogenkrieg als »nationale Katastrophe«, die vor allem den USA nützt

  • Lesedauer: 3 Min.

Von Luz Kerkeling, San Cristóbal

Mexikos Präsident Felipe Calderón verkündete kurz nach Amtsantritt 2006 den »Krieg gegen die Drogen«. Seit Ende 2006 kamen im Drogenkrieg mehr als 34 600 Menschen ums Leben. Zapatistensprecher Marcos legte nun seine Analyse des traurigen Geschehens vor.

Lange war es still um die Zapatistische Befreiungsarmee EZLN und ihren Sprecher Subcomandante Marcos. Das fast zweijährige Schweigen wurde erstmals am 26. Januar gebrochen, als sich die Sprecher Marcos und Moisés im Namen der zapatistischen Bewegung nach dem Tod von Bischof Samuel Ruiz zu Wort meldeten, um die Arbeit des Befreiungstheologen und Regierungskritikers »trotz nicht weniger und nicht oberflächlicher Differenzen« zu würdigen.

Auch dem Thema Drogenkrieg, das Mexiko seit Jahren in Atem hält, widmete sich Subcomandante Marcos. In einem offenen Brief an den mexikanischen Philosophen Luis Villoro analysierte der EZLN-Sprecher jüngst die Folgen der Militarisierung des Landes. Marcos bezeichnet den von der Regierung ausgerufenen »Krieg gegen das organisierte Verbrechen« als von vornherein verloren, als eine »nationale Katastrophe« und einen »Eroberungskrieg« im Interesse der mexikanischen Machtcliquen und des ausländischen Kapitals. Begleitet werde dieser »Krieg von oben« von Repressionen gegen soziale Bewegungen und einem »Krieg gegen würdige Arbeit und gerechte Löhne«.

Marcos rechnet vor, dass Heer, Marine, Luftwaffe, Generalstaatsanwaltschaft und das Ministerium für Innere Sicherheit zwischen 2007 und 2010 umgerechnet rund 30 Milliarden US-Doller erhalten haben. Als Hauptprofiteur des Krieges werden die USA ausgemacht: »Abgesehen von wirtschaftlichen Gewinnen und finanziellen Investitionen in Waffen, Munition und Ausrüstung (vergessen wir nicht, dass die USA Hauptlieferant beider Kampfparteien sind, der Behörden und des ›Verbrechens‹ (...), hat dieser Krieg auch Zerstörung, Entvölkerung, Wiederaufbau und geopolitische Neuordnung zur Folge, von der sie profitieren«. Der Bevölkerung würden Angst, Unsicherheit und Verwundbarkeit durch Waffengewalt aufgezwungen, der Krieg zerstöre »die letzte Grundfeste des Landes: das soziale Gefüge«. Laut offiziellen Zahlen sind seit Ende 2006 über 34 600 Menschen in diesem Zusammenhang ums Leben gekommen.

Am 16. Februar jährte sich zum 15. Mal der Jahrestag der Unterzeichnung der »Abkommen von San Andrés« über indigene Rechte durch EZLN und Regierung. Die Regierung hat das Vertragswerk stets missachtet, denn die darin festgeschriebene Teilautomie der 62 indigenen Bevölkerungsgruppen, unter anderem über Territorium und Bodenschätze, steht den neoliberalen Großprojekten mexikanischer und internationaler Unternehmen entgegen – egals ob es um Bergbau, Monokulturen zur Agrarsprit-Produktion oder Massentourismus geht.

Dass die Regierung unter Felipe Calderón völlig an den Interessen der Bevölkerungsmehrheit vorbei regiert, zeigte sich wieder einmal bei den Ereignissen um seine jüngsten Besuche in den südlichen Bundesstaaten Chiapas und Oaxaca. Einen Tag nach Calderóns Werbetour für den Tourismus in Chiapas griff eine regierungsnahe Gruppierung ein Kassenhäuschen im viel besuchten Ausflugsort Agua Azul an. Kontrolliert wurde es von Anhängern der »Anderen Kampagne«, eines von der EZLN angeregten zivilen Netzwerks zur Durchsetzung einer neuen antikapitalistischen Verfassung. Die oppositionellen Aktivisten wollen den Tourismus ebenfalls nutzen, wehren sich aber gegen die kommerzielle Erweiterung von Agua Azul und die Privatisierung ihrer Gemeindeländereien. Die Polizei nahm später 117 Oppositionelle fest, von denen schließlich 107 wieder frei gelassen wurden. Das Zentrum Fray Bartolomé de las Casas prangerte Angriffe und Festnahmen als schwere Menschenrechtsverletzungen an.

Auch in Oaxaca kam es zu Auseinandersetzungen, als Calderón am 15. Februar den Bundesstaat besuchte. Hintergrund von Protesten der Lehrergewerkschaft war die Ankündigung des Präsidenten, die Zahlung von Unterrichtsgebühren an privaten Hochschulen steuerlich zu entlasten. Dies führt zu Steuererleichterungen für Besserverdienende im Umfang von etwa 800 Millionen Euro. Die Nachricht löste spontane Proteste der Lehrer aus, die Lehrer seit Jahren für bessere Bedingungen im Bildungswesen kämpfen. Die Polizei ging gewaltsam gegen die Protestierenden vor, 16 von ihnen wurden verletzt, kurzzeitig wurde mit einem Wiederaufflammen des Aufstands von 2006 gerechnet.

Inzwischen hat sich die Lage wieder beruhigt. In Mexiko wie im Ausland solidarisierten sich zahlreiche Gruppen mit den Repressionsopfern in Chiapas und Oaxaca.

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