Der Seele drahtige Kränze

Philharmonie Berlin: Staatskapelle unter Ingo Metzmacher spielte Nono, Schostakowitsch und ...

  • Stefan Amzoll
  • Lesedauer: 4 Min.

Ein dritter Name stand am Anfang: Carl Maria von Weber. Seine »Freischütz«-Ou- vertüre, tausende Male ist sie rundum erklungen, war seinerzeit an dramatischen Wechseln und romantischen Farben kaum zu überbieten. Das war moderne Musik damals. Es bereitet außerordentliches Vergnügen, solch gekonnte Musik wiederzuhören. Vom pianissmimo baut sich der fantastische Reigen auf. Allmählich formiert sich die Kraft des Orchesters. Die Hörner, pointiert gesetzt, schießen kollektiv ihre Salven ab wie der stolze Jäger, der im deutschen Wald sein Wild erlegt.

Die Musik glänzt, funkelt, packt die Sinne. Jähe harmonische Wendungen passieren orchestral Revue. Eine Klarinette meldet sich. Abermals tönen die Hörner, nur rasanter, bissiger. Sie winden der Seele drahtige Kränze. Der romantische »Freischütz« scheint in der Ouvertüre schon da. Tragödie, Glanz, Mysterium. An besonders schneidigen Stellen sprang Dirgent Ingo Metzmacher auf dem Podium wie ein Kind, das Hopse spielt. Die Staatskapelle musizierte diese Musik höchst lustvoll und so unangestrengt, dass es schien, sie würde diesen Weber aus dem Ärmel schütteln. Darauf die »Canti di vita d'amore: sul ponte di Hiroshima« von Luigi Nono und nach der Pause Schostakowitschs großdimensionierte 7. Sinfonie. Die Paarung ist nicht unproblematisch. Der Italiener mochte den Symphonismus des russischen Neutöners gar nicht. Der selbst war für ihn hinter der Zeit. Nono in einem Gespräch: Schostakowitschs Musik habe keine Zukunft, sie sei technisch armselig und gehe am Potenzial der heutigen Möglichkeiten vorbei. Seine Konzepte seien sozialistischer Realismus im üblen Sinn. Alter Wein in neue Schläuche, falsch verstandene Volkstümlichkeit. Nono hebt stattdessen die Revolutionskunst Majakowskis, Babels, Eisensteins, Pudowkins hervor.

Keine Zukunft? Heute wird Schostakowitsch gefeiert in der Welt wie kein anderer Meister des 20. Jahrhunderts, während Nono eher selten vorkommt.

Der eine ist deswegen nicht besser als der andere. Beide haben ihren Kopf. Beide haben große Musik komponiert, und darum gehören sie auch zusammengespannt. Dank Metzmachers kam eine große Aufführung des engagierten Nono-Werkes zustande. Der Dirigent zählt bekanntlich zu den Spezialisten neuer Musik. Nonos Musik ist ihm wohl bekannt, oft hat er sie aufgeführt, und an Schostakowitsch, auch an Hanns Eisler, geht er seit längerem auch heran. Unvergessen seine bedeutende Aufführung von Eislers »Deutscher Sinfonie« mit dem Deutschen Sinfonieorchester und ersten Solisten vor zwei Jahren in der Philharmonie.

Nonos »Canti« von 1962 sind von unerhörter Härte und Schönheit. Teil 1 »Hiroshima« thematisiert Gefahren, die alle angehen und bis heute in der Welt sind. Nicht billig programmmatisch, wohl aber aus der Struktur der Musik selber heraus. »Hiroshima« geht auf einen Text von Günter Anders zurück, verbirgt diesen aber hinter den Noten. Da spielen radikalisierte Percussionisten und Bläser, daneben aufgebrachte Streichergruppen gegen Wände von Tod und Menschheitsunheil. »Ein reiner Gesang«, Teil 2, ist eine Monodie, wie sie schöner, anmutiger, liebvoller kaum sein kann. Nono setzt darin alle Hoffnung, die aufzubringen möglich scheint. Die Stimme der algerischen Freiheitskämpferin Djamila Boupachá findet ihr Echo. Die Sopranistin Silke Evers legte in sie größte Innigkeit und Eleganz und Selbstbewusstheit. »Tu«, Teil 3, ist ein, wie Nono sagt, »alleluja-ähnlicher Gesang auf eine Möglichkeit und neue Notwenigkeit von Liebe.« Eine große Aufführung (dabei auch Tenor Matthias Klink), die viel Beifall erhielt.

Nicht minder die Siebte von Schostakowsitsch, die berühmte »Leningrader«. Keine Kriegssinfonie ist sie, wie so oft missverstanden, auch keine Musik gegen Stalins Regime, wie fälschlich immerfort behauptet wird, sondern eine Sinfonie, die Menschheitprobleme philosophisch verarbeitet. Zu Beginn enthüllen sich zarte, malerische Idyllen, ähnlich wie die Vorspiele zu Brechts »Kauskasischem Kreidekreis«, die intakte Kollektivitäten zeigen (Brecht strich sie später weg). Dann der bekannte 2. Satz, der wie Ravels »Bolero« gestisch zu Aggressionen auswuchert, hier nur viel größer.

Unter Ingo Metzmacher kam das Werk in seiner ganzen Plastik zum blühen. Es riss die Leute im gut gefüllen Saal fast von den Sitzen.

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