»Das Lied«

Klick auf Brahms

  • Antje Rößler
  • Lesedauer: 3 Min.

Das Singen verschwindet aus dem Alltag; zugunsten von vorgefertigter Musikware, die aus Kopfhörern oder Lautsprechern dringt. Wo aber das Singen keine Selbstverständlichkeit darstellt, da hat es auch das Kunstlied schwer. So kommt es, dass man die Liederabende im Berliner Konzertleben inzwischen mit der Lupe suchen muss. Zugegeben, gewisse Hemmschwellen erschweren den Zugang: Dem Lied fehlt die Bühnenaktion, die der Oper ihren Reiz verleiht. Der Hörer wird zum Nur-Zuhören gezwungen; das ist anstrengend.

Sein »Herzenswunsch« sei es, sagt der Bariton Thomas Quasthoff, »die Kunstform des Liedgesangs zu bewahren«. Deshalb hat er vor zwei Jahren den Wettbewerb »Das Lied« ins Leben gerufen, der vergangene Woche zum zweiten Mal stattfand. Und der Andrang gibt Thomas Quasthoff Recht: Vor zwei Jahren wurden die Veranstalter überrollt vom Ansturm der Bewerber und Zuschauer. Nun hat man sich darauf vorbereitet, nummerierte Eintrittskarten ausgegeben und das Finale von der Musikhochschule in den Kammermusiksaal der Philharmonie verlegt. Auch virtuell herrscht großer Andrang. Die Facebook-Seite des Wettbewerbs wurde binnen zehn Tagen über 90 000 Mal angeklickt.

Johannes Brahms und Hugo Wolf standen diesmal im Mittelpunkt. Eine interessante Kombination, verfolgten doch beide Komponisten eine geradezu konträre Herangehensweise an das Genre. Für Brahms war das Kunstlied eine musikalische Gattung; für Wolf stand der Text im Vordergrund, er nannte seine Stücke »Gedichte für Singstimme und Klavier«.

Für die siebenköpfige Jury, zu der neben Quasthoff auch Brigitte Fassbaender und Annette Dasch gehörten, ist der Wettbewerb eine anstrengende Sache. Zunächst müssen die aus aller Welt eingesandten Video-Bewerbungen gesichtet werden. 40 Teilnehmer dürfen nach Berlin anreisen. In drei Marathon-Sitzungen zieht sich der Kreis um die Kandidaten immer enger. Drei Tage lang herrscht dann höchste Konzentration. Wird im Publikum getuschelt oder gehustet, mahnt Quasthoff sogleich energisch zur Ruhe.

Den ersten Preis gewann Amira Elmadfa, Jahrgang 1981, aus Deutschland. Eine unanfechtbare Wahl, verfügt doch die Mezzosopranistin über eine makellose Gesangstechnik. Den schnellen und unangenehm hohen Sprechgesang in Wolfs »Nixe Bindefuß« beherrscht sie ebenso souverän wie die innigen Melodiebögen im Brahms-Lied »Von unbewegter Liebe«. Solch eine Perfektion lässt einen schon fast wieder kalt. Weitaus ergreifender war der Auftritt von Anna Huntley, die einen der zwei Dritten Preise bekam. Die Britin hat eine größere, dramatischere Stimme, die zuweilen in ein übermäßiges Vibrato ausweicht. Aber die Sängerin trägt ihr Herz wahrhaft auf der Zunge.

Weniger nachvollziehbar ist die Vergabe des anderen Dritten Preises an David Pichlmaier. Allzu sehr verlässt sich der Bariton auf seine – zugegeben sonore und kräftige – Naturstimme und vernachlässigt dabei die Technik.

Wird das Lied nun neue Anhänger finden? Den Wettbewerb selbst dürften viele Besucher vor allem Quasthoffs wegen aufgesucht haben. Starkult allein aber bietet für das Genre keine Perspektive. Wichtiger wäre es, über neue Präsentationsformen nachzudenken, schließlich entsprechen Konzertsäle mit mehreren tausend Zuhörern nicht der Innerlichkeit dieser Gattung. Und ein Liederabend auf Facebook ist wohl auch nicht die Lösung.

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