Komödie am Kudamm

»Wie RTL 2«

  • Lucía Tirado
  • Lesedauer: 3 Min.

Das Stück gewinnt mit seinem Tempo. Sind Charaktere und Zusammenhänge nahegebracht, geht es nach der Pause rasant auf die Zielgerade. So wird »Achtung Deutsch!« in der Komödie am Kurfürstendamm sicher und mit Pfiff von Regisseur Martin Woelffer nach zwei Stunden zur Pointe geführt. Muss man Klischees auf der Bühne eigentlich ablehnen, so setzt Autor Stefan Vögel sie bewusst zahlreich ein und führt sie ad absurdum.

Eine Marktforschungsstudie in europäischen Ländern stachelte ihn dazu an, aufs Tapet zu bringen, was für typisch Deutsch gehalten wird. Überdies wuchs Vögel in einem Wirtshaus in den Alpen auf und erlebte österreichische Urteile über deutsche Urlauber. Die festgefahrene Meinung, dass sie gern immer wieder den selben Ort besuchen, wenn er ihnen einmal gut gefiel, hatte sich hier mit Leben erfüllt. Er erinnert sich an einen Gast, der sich so zu Hause fühlte, dass er »irgendwann angefangen hat, unsere Post zu öffnen«.

Aus solcherart deutschen Eigenarten und Meinungen darüber, formt sich in dem Stück ein Zehn-Punkte-Programm für eine internationale Studenten-WG. Damit will sich die bunte Truppe davor schützen, die gemeinsame Wohnung oder gar den deutschen Pass zu verlieren. Fälschlicherweise sind die jungen Leute vom schwarz-rot-goldenen Amt als Familie eingestuft worden. Das Amt bestimmt, was eine Familie ist. Aber dem sind die Daten durcheinander geraten. Überdies sagte sich ein Mitarbeiter zur prüfenden »Begehung« an. Die Studenten müssen sich etwas einfallen lassen. Sie spielen ihm eine deutsche Familie vor. Und die müsste schon so überzeugend sein, meinen sie, wie Menschen bei RTL 2 auf den Bildschirm kommen. Gleichzeitig brachte der Autor mit dem Denunzianten Friedhelm Schröder (Helmut Krauss) und dem prüfenden Sachbearbeiter Jochen Reize (Helmut Baumann) zwei »typisch Deutsche« unter.

Abgemacht. Nach der Pause spielt der junge Syrer (Karim Cherif) also den bierseligen Familienvater. Die Französin Virginie (Agnieszka Guzikowska) mutiert zur deutschen Mutter, obwohl ihre Mitbewohner meinen, sie würde mit der neuen Friseur eher aussehen wie die Ukrainerin Julia Timoschenko. Der Italiener Enzo (Allessandro Calabrese) wird wie der Wiener Rudi (Oliver Dupont) wieder in die Kinderschuhe gesteckt. In der nunmehr nach deutschem Klischee eingerichteten Kulisse schlagen sich die Schauspieler hervorragend mit viel Spielfreude. Perfekt wird das Ganze dann mit dem Auftritt von Helmut Baumann – was das Klischee mit Leben erfüllt, dass Theater richtig gut wird, wenn Junge und Ältere zusammen gut Theater spielen.

Natürlich bekommen auch die anderen Nationalitäten ihr Teil ab. Die Französin mit ihrer charmanten »Tour de France«, mit der sie alle um den Finger wickelt. Der Österreicher, der behauptet, gutes Deutsch zu sprechen, worin er von dem mittelhochdeutsche Lyrik studierenden Araber weit übertroffen wird. Der Italiener, der den großen Verführer mimt. Gelungen sind Kulisse von Julia Hattstein und Kostüme von Gabriella Ausonio. Wie Letztere vor allem Oliver Dupont als Söhnchen ausstaffiert, kann nicht komischer sein. Nur anfangs und am Ende tritt Eric Bouwer als Henrik auf. Aber durch den kleinen Urlaub dieses WG-Mitbewohners kommt die ganze Sache für die Multikulti-WG ja erst ins Rollen. Und die kann am Ende feststellen, dass sie so wie sie ist auch eine Familie ist.

3./4.3. und wieder ab 8.3., Komödie am Kurfürstendamm

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal