Die zähe Zarte

Jutta Hoffmann zum 70. Geburtstag

  • Hans-Dieter Schütt
  • Lesedauer: 5 Min.

Sie ist präsent in einem Publikums-Gedächtnis, das aktive Maßstabpflege betreibt. Wer Maßstäben treu ist, vereinsamt freilich – in der Menge der Angebote. Solche Lage und das Wissen darum ist dieser Künstlerin seit Jahren wichtiger als ein geschäftiges Vorhandensein in aktuellen medialen Anstrengungen. Anders gesagt: Die Schauspielerin Jutta Hoffmann ist Schauspielerin, aber hauptsächlich war sie. Und blieb somit.

Ihrer möglichen Trauer über solchen Zustand würde sie allerdings – das ist stark zu vermuten – niemals erlauben, ohne eine trotzig-souveräne Würde aufzutreten; nicht denkbar diese Trauer ohne Grazie. Das ist Folge einer freiwillig und sehr durchdacht beschlossenen Verweigerung von jedem bloßem Handwerks-Zeug, von eilfertigem Beliebigkeitsspiel, von routinierter Typenfolie. Lebenslang schon. Sie ist eine große deutsche Schauspielerin, die jederzeit mit sich ins Reine kam, indem sie nie Gefahr lief, ins Leere zu spielen.

Sie hat am Theater gearbeitet, am Maxim Gorki Theater, am Deutschen Theater; sie hat den SED-Staat nach der Biermann-Ausbürgerungsschande verlassen; sie hat im Westen bei Zadek und Bondy gespielt, in Hamburg und München. Vor allem jedoch muss ihr Name genannt werden im Zusammenhang mit Filmen, die das Babelsberg der DEFA und das Adlershof des DDR-Fernsehens als Stätte großartiger Produktionen offenbarten, jenseits von Propagandaschmiede und Ideologiemühle.

Die Hoffmann, 1941 in Halle an der Saale geboren: Das ist freche, mitunter betont burschikose Schönheit, und stets ist da dies reizvolle schmale Gesicht mit den Augen aus dem Wunder- und Wundenland. Immer waren diese Augen, so schien es, größer als das, was ein Mensch fassen kann, aber nie groß genug für das, was er hoffen und glauben möchte; eine große offene Welt, diese Augen – eine Tapferkeitsgröße gegen das, was der Mensch verschmerzen muss und einsehen soll.

Ihr Lämmchen in Hans-Joachim Kasprziks Fallada-Verfilmung »Kleiner Mann – was nun«! Man möchte annehmen, sie alle – Wyzniewski, Keller, Kaiser, Köfer – hätten jedes Jahr vorwiegend deshalb Geburtstag und böten also Anlass fürs Rühmen, um einzig immer wieder Gelegenheit zu geben, just diesen Film zu preisen. Die Hoffmann als des armen Pinnebergs Liebe: das Arbeitslosendrama als großer Krieg der seelischen Anmut gegen die soziale Zumutung, ein Krieg der Zuversicht gegen die Aussichtslosigkeit. Die Hoffmann ist ein Panzer aus herzbewegender Sanftheit; aber stets hört man auch das Klirren, wenn wieder ein Eissplitter der bösen Wirtschaftskrisenzeit, Risse schlagend, ins Leben dieser Pinnebergs fällt. Jutta Hoffmann kann das Weh wie eine Ordensweihe spielen, so, wie sie die Liebe ehrlich und entsetzensfähig auch als einen tragischen Kräfteraub zeigt.

Mit dieser feinsten Rauschicht noch über jedem Schmelz all ihrer Liebenswerten, Komischen, Naiven, Selbstbewussten, Arbeiterinnenschönen und Adelskecken hat die Hoffmann Gestalten geschaffen (»Der Dritte«, »Weite Straßen – stille Liebe«, »Lotte in Weimar«), die dem Charakteristikum, mitten im Leben zu stehen, eine besondere Wahrheit einschrieben: Es ist der Platz des Umtostseins, wo alle Daseinsmöglichkeiten am Menschen zerren, wo die Zentrifugalkräfte auf ihre Stunde lauern; jener Platz, an dem das Zarte auch das Zähe sein muss und der Mensch am besten vom Schilf lernt. Das wankt, aber nicht weicht. Die Hoffmann: schönst geschmeidiges, tänzerisches Schilf.

In Egon Günthers »Die Schlüssel« spielte sie neben Jaecki Schwarz eine selbstverständlich Scheue, souverän Bescheidene, liebenswert Verliebte, die in Polen bei einem Unfall stirbt – Regisseur Andrei Tarkowski sagte zu Günther, die Deutschen hätten so viele Polen auf dem Gewissen, dieser schöne spröde Film gebe dem polnischen Volk eine Deutsche zurück.

Später schien die Hoffmann eine der trauernd bewundernswerten Tschechow-Menschen zu sein, herb, wissend, aber doch weiter rebellisch hell und leise. Für diese Art stehen die Filme »Das Versteck«, mit Manfred Krug, und »Geschlossene Gesellschaft« (Regie: Frank Beyer), mit Armin Mueller-Stahl, Trauerspiele aus einem Käfig, der sich Sozialismus nannte und der doch aber von Becketts und Strindbergs und Ingmar Bergmans Existenzdunkel längst eingeholt, ach, von diesem Dunkel nie verlassen worden war. Dies zu sagen, glich schon einem Tabubruch, und so wurde »Geschlossene Gesellschaft« im Fernsehen der siechenden DDR am festgesetzten Sendeabend von Stunde zu Stunde hinausgezögert bis in die Nachtphase der letzten Schlaflosen, ein verwalterisches Bubenstück der Volksverdummung und Geistverachtung.

Die Theaterspielerin Hoffmann fand noch einmal zu großem Lebensstoff, als sie nach dem Ende der DDR mit Einar Schleef arbeitete: des Puntilas Tochter im Brecht-Stück, am Berliner Ensemble, und als Rosa Luxemburg in »Verratenes Volk«, nach Döblin und Trolle, am Deutschen Theater. Wuchtige Bühnenkunst mit einer antikisch befeuerten Lust am Aufsprengen zu kleiner und zu privater und zu gewöhnlicher Denkräume.

Schleefs unerwarteter Tod schlug dann eine Zukunft nieder, die also unerledigt liegen blieb. Bei Schleef und Tragelehn war sie Mitte der siebziger Jahre, ebenfalls am BE, auch das »Fräulein Julie« gewesen: Geschlechterdämonen als Gesellschaftsdämonen, die dem scheinsozialistischen Gemeinwesen den Spiegel vorhielten und lauter gemeine, verlorene, vergebliche Wesen zeigte. Verbot, was sonst. Jürgen Holtz war damals ihr Partner, neben dem sie später im TV-Motzer »Motzki« eine wunderbare Schnippische, Maulige, Ironische entwarf – man sah da sehr deutlich, was das Spiel der Hoffmann stets durchzogen hatte: den festen Faden Witz, der derb sein kann, aber intelligent ist.

Heute wird die kindsgroßartige Jutta Hoffmann, mehrere Jahre Professorin an Hamburgs Schauspielschule, siebzig Jahre alt.

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