»Unser Wille ist nun gestärkt ...«

Vor 95 Jahren: Die Große Arabische Revolte von 1916 und europäische Machtinteressen

  • Claudia Schröder
  • Lesedauer: 6 Min.
Im Frühsommer 1916 revoltierten die Araber im Osmanischen Reich gegen die türkische Vorherrschaft. Engländer und Deutsche manipulierten im Vorfeld den arabischen Willen zur Selbstbestimmung.
Kitchener auf Inspektion in Sedd el-Bahr, gefolgt von McMahon und dem französischen Kommandeur, Ägypten 1916
Kitchener auf Inspektion in Sedd el-Bahr, gefolgt von McMahon und dem französischen Kommandeur, Ägypten 1916

Die Große Arabische Revolte, die 1916 unter der Führung des Emirs von Mekka losbrach, markierte den Höhepunkt des von europäischen Interessen stark überlagerten Befreiungskampfes der arabischen Provinzen des Osmanischen Reiches gegen die türkische Vorherrschaft. Das Osmanische Reich, das sich von Istanbul bis nach Kairo erstreckte, sah sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts mit wachsendem Sezessionsstreben seiner arabischen Untertanen konfrontiert.

Nordafrika war bereits im 19. Jahrhundert unter europäische Kolonialherrschaft geraten. Ägypten, das lediglich noch formal zum Osmanischen Reich gehörte, befand sich seit 1882 unter englischer Besatzung. Mit Ausbruch des Ersten Weltkrieges im Juli 1914 gerieten die Araber im Osmanischen Reich und in Ägypten ins Kalkül der europäischen Kriegsgegner. Während das Deutsche Reich hoffte, die Muslime in den englischen Einflussgebieten zu Aufständen aufzuwiegeln und England auf diese Weise fernab der europäischen Front in Kämpfe zu verwickeln, spekulierte man in London auf die zerstörerische Kraft, die ein arabischer Aufstand innerhalb des mit Deutschland verbündeten Osmanischen Reiches entfalten würde.

Großbritanniens Diplomaten maßen der Bedrohung durch religiös motivierte Revolten in den eigenen Kolonialbesitzungen durchaus Bedeutung zu, wie eine Notiz des Untersekretärs im Londoner Foreign Office, Arthur Nicolson, bezeugt: »Deutschland ist in der glücklichen Lage, vergleichsweise gelassen auf das Erstarken einer muslimischen Militärmacht zu blicken, da es selbst keine muslimischen Untertanen hat.« Ein deutsches Bündnis mit dem Osmanischen Reich sei laut Nicholson »von größter Gefahr«.

Dem ausgemachten Ziel des deutschen Kaisers Wilhelm II., die Muslime in Nordafrika in einen religiös motivierten Freiheitskampf gegen die englische Fremdherrschaft zu verwickeln, kam die deutsche Politik näher, als im November 1914 im Namen des osmanischen Sultans Mehmed V. der Heilige Krieg gegen England zur Pflicht eines jeden Muslims erklärt wurde. Zeitgleich sandte eine gesonderte Abteilung des Auswärtigen Amts, die sogenannte Nachrichtenstelle für den Orient (NO), deutsche Mittelsmänner in den Nahen Osten und nach Nordafrika, die Kontakte mit arabischen Würdenträgern herstellen und für die Unterstützung des Jihad werben sollten. Besonnenere Einschätzungen zur deutschen Aufwiegelungsstrategie, wie die des deutschen Botschafters Wangenheim in Istanbul, der Heilige Krieg werde wohl nur wenige Muslime »hinter dem warmen Ofen hervorlocken«, blieben im Auswärtigen Amt und in der deutschen Heeresleitung ungehört.

Bezeichnenderweise glaubte gerade auch die englische Politik an die Gefahr einer »neuen islamischen Epoche«. Um Ägypten dem osmanischen Einfluss zu entziehen, wurde das Land am Nil 1914 zum englischen Protektorat erklärt. Zusätzlich suchte man vorsorglich nach Wegen, den eigenen Einfluss unter den Arabern im Osmanischen Reich zu stärken. Dabei fiel der Blick des britischen Militärgouverneurs in Kairo, Lord Kitchener, auf den Emir von Mekka, Husayn bin Ali, Nachfahre des Propheten Mohammed aus der Familie der Haschimiten. Kitchener wusste, dass die Verkündung des Heiligen Krieges in den Moscheen Mekkas und Medinas durch die Haschimiten unter den Muslimen große Wirkung haben würde und dass deutsche Agenten der NO eben dieses Ziel bereits verfolgten. Er wusste außerdem, dass das Verhältnis zwischen Husayn und Istanbul nicht zum Besten stand.

Die türkische Zentralisierungspolitik und die zunehmende Einmischung der Regierung in die Angelegenheiten Mekkas bedrohten den tradierten Herrschaftsanspruch der Haschimiten und hatten bereits zu einigen ernsthaften Konflikten zwischen dem Emir und den türkischen Machthabern geführt. Mehrmals hatte Istanbul mit der Absetzung des unbequemen Fürsten gedroht. Der Emir weigerte sich indes, den Aufruf zum Heiligen Krieg offiziell zu unterstützen. Husayns Ziel war es, für seine Machtinteressen auf der arabischen Halbinsel größtmögliche Unabhängigkeit von der osmanischen Politik zu erreichen. Hier erkannte Kitchener die Chance, den Emir für Großbritannien zu gewinnen. In einem geheimen Schreiben ließ er in Mekka anfragen, auf welche Seite sich dieser im Krieg zu stellen gedachte. Husayn zögerte jedoch mit einer eindeutigen Antwort. Eine offene Revolte gegen die Türken bedeutete, sich dem Schutz des Osmanischen Reiches zu entziehen. Die heiligen Städte des Islam auf diese Weise einer christlichen Kolonialmacht auszuliefern, schien ihm undenkbar. Es fügte sich glücklich für Kitchener, dass er bald darauf durch englische Berichte nähere Kenntnis von der schwelenden arabischen Unabhängigkeitsbewegung in Syrien erhielt. »Das Freiheitsstreben der Araber ist nun auch ein Anliegen Englands«, lautete Kitcheners zweite Botschaft an Husayn. Der Emir griff den Gedanken auf.

Im Mai 1915 einigte sich der drittälteste Sohn des Emirs, Faysal bin Husayn, mit syrischen Nationalisten auf die Grenzen eines unabhängigen arabischen Staates, der die größten Teile der arabische Halbinsel, die Levante und Mesopotamien umfassen sollte. Husayn sollte den Titel »König der Araber« annehmen. Bald darauf erhielt der englische Diplomat Henry McMahon, der die Verhandlungen mit Husayn führte, eine Botschaft aus Mekka, in der es hieß: »Unser Wille ist nun gestärkt«. Stimmte London der Bildung eines unabhängigen arabischen Staates in den bezeichneten Grenzen zu, könnte von Syrien und Mekka aus der Schlag gegen die Türken erfolgen.

McMahon konnte Husayn jedoch nicht mehr als die vage Zusage geben, man werde die Unabhängigkeit der arabischen Völker nach dem Krieg unterstützen. Die schriftlichen Verhandlungen zwischen McMahon und Husayn zogen sich bis Anfang 1916 erfolglos hin. Endgültig konterkariert wurden diese, als im Mai 1916 Großbritannien und Frankreich im sogenannten Sykes-Picot-Abkommen die arabischen Provinzen als zukünftige europäische Einflusszonen unter sich aufteilten.

Zur selben Zeit schlugen die über die arabischen Umtriebe alarmierten Türken den syrischen Arm der arabischen Unabhängigkeitsbewegung blutig nieder. Emir Husayn musste nun davon ausgehen, dass seine Absetzung und Verhaftung nur noch eine Frage weniger Tage war. Ohne von McMahon verbindliche Zusagen für die Grenzen und den Status eines zukünftigen arabischen Staates erhalten zu haben, entsandte er am 10. Juni 1916 seine Beduinentruppen unter der Führung Faysals in den Kampf gegen die türkische Armee.

Deutsche Agenten der NO versuchten in den Monaten nach Beginn der Revolte, den Emir zur Umkehr und zur Unterstützung des Heiligen Krieges zu bewegen. Der Aufstand Mekkas »droht den Wert der Türkei als Bundesgenossin auf die Dauer zu beeinträchtigen«, hieß es in den Berichten des Auswärtigen Amts. Doch der Bruch Mekkas mit dem Osmanischen Reich war endgültig. Die revoltierenden Araber eroberten unter der Führung Faysals in den kommenden Monaten an der Seite der englischen Armee Palästina und Syrien. Die arabische Bevölkerung, die in den Wirren des Weltkrieges furchtbar unter der türkischen Herrschaft gelitten hatte, begrüßten die arabischen Truppen als Befreier.

Auf der Pariser Friedenskonferenz im Jahr 1919 forderte die arabische Delegation um Faysal bin Husayn erneut die Unabhängigkeit der arabischen Länder. Doch England und Frankreich beharrten auf ihren 1916 getroffenen Vereinbarungen. Das Sykes-Picot-Abkommen wurde 1919 im Vertrag von Versailles lediglich formal abgeändert und die englische und französische Mandatsherrschaft im Nahen Osten festgeschrieben. England setzte die Haschimiten im Irak, in Jordanien und auf der arabischen Halbinsel als Könige ein, behielt als Mandatsmacht jedoch auch in diesen Ländern weiterhin die Entscheidungsgewalt. Anstelle eines einzigen arabischen Staates schufen die europäischen Mandatsmächte Großbritannien und Frankreich eine Vielzahl künstlicher Staatsgebiete. Die Grenzziehungen förderten oft bewusst Konflikte zwischen den unterschiedlichen Volksgruppen. Revolten wurden gewaltsam niedergeschlagen.

Als die jungen arabischen Staaten 1945 (Syrien 1946) endlich in die Unabhängigkeit entlassen wurden, waren ihre Bevölkerungen zerrissen und die politischen Eliten geschwächt.

Claudia Schröder arbeitet am Zentrum Moderner Orient in Berlin.

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