Der Plebejer probt – immer den Aufstand

Dem Schauspieler Peter Sodann zum 75. Geburtstag

  • Hans-Dieter Schütt
  • Lesedauer: 6 Min.
Peter Sodann: kein Trotzkist, ein Trotzist durchaus ...
Peter Sodann: kein Trotzkist, ein Trotzist durchaus ...

Des Plebejischen stärkste Kraft ist die Täuschung. Das Plebejische verleitet nämlich zur Vermutung, es habe lediglich ein sehr direktes, fraglos zupackendes, gar grobes Naturell zur Verfügung, um in der Welt zu bestehen. Gut, das ist die Wahrheit, aber nur eine. Sie ist zugleich die Täuschung – die dazu verführen soll, das Plebejische zu unterschätzen.

Denn: Das Plebejische geht zwar unmittelbar und kraftvoll unverblümt auf Dinge zu, aber doch nur, um in gleicher Zeit davon abzulenken, dass es mit List gerade auch auf ganz andere Dinge zugeht. Plebejertum, das ist Doppelstrategie unterm Deckmantel des Vorurteils, es tauge nicht zur Strategie. Also zum Denken. Plebejertum ist die intelligente Ausnutzung des Vorurteils, es fehle dem Plebejertum vor allem an Intelligenz. Plebejertum ist Souveränität von unten auf, gerichtet gegen alles, was von oben herab Herrschaft versucht. Plebejertum ist das Einfache. Aha: einfache Verhältnisse, einfache Wahrheiten? Abwarten! In dem Maße, wie die sogenannten einfachen Verhältnisse bekanntlich die kompliziertesten sind, so finden sich in den sogenannten einfachen Wahrheiten mitunter sehr ausreichende Erklärungen für die kompliziertesten Weltverhältnisse.

Der Schauspieler, Regisseur, der leidenschaftlich unoffiziöse Kulturpolitiker Peter Sodann ist – ein Plebejer!

Er neigt aus Erfahrung und Widerredlichkeit zur einfachen Wahrheit. Er zitiert zum Beispiel, wo er nur kann, Brechts Verszeilen vom reichen und armen Mann, und dass der Reiche doch nur reich sei durch die Armut des Armen – und schon lächelt Sodann beglückt. Denn er sagt solcherlei gern an Orten und zu Gelegenheiten, wo man es nicht gern hört. Weswegen man den zäh offenherzige Mann nicht mehr so oft in den vermeintlich gehobenen öffentlich-rechtlichen Talk lädt.

Sodanns Einfachheit aber offenbart genau jene erwähnte Doppel-Kraft des Plebejischen – so etwa liebt er eine politische Deutlichkeit, die in ihm einen, sagen wir mal: Stalinisten oder Marxisten oder beides vermuten lässt – anschließend freilich kann er in frechst beiläufiger Lakonik einen Lebenslauf bezeugen, der sich am wenigsten so etwas wie SED-Hörigkeit nachsagen lassen muss.

Er ist kein Trotzkist, ein Trotzist schon.

Ein gebürtiger Meißener, aber fern allem Porzellan – stets hinterließ dieser Sachse lieber Scherben, als einer verlangten Schaufensterglanzgesinnung zu folgen. Sohn eines Stanzers, der in Hitlers Krieg blieb, und einer Landarbeiterin – solche Leute hatten immer Grund, einen Staat zu preisen, der Arbeitermacht auch danach bemaß, was ein Arbeiter aus sich machte. Und am meisten hatte ein Arbeiter vom Schlage Sodann dann aus sich gemacht, wenn er nicht alles mit sich machen ließ. Auch wenn Sodann studierte, er blieb Arbeiter. Auch wenn ihn der Staat wegen Mitgliedschaft im Leipziger Studentenkabarett »Rat der Spötter« für sechs Monate in Einzelhaft wegsperrte – dieser zähe Kerl ließ sich trotzdem nicht zum Feind machen (da konnten Staat und Stasi, da konnte der Stasistaat sich noch so anstrengen).

Auch als er Schauspieldirektor in Magdeburg und später Gründer und vierundzwanzig Jahre Chef des »neuen theaters« in Halle war, und ob man ihn nun auf der Bühne sah oder als Kommissar Ehrlicher im »Tatort«: Sodann blieb auch da – Arbeiter. Also erdig, stutzig, ostig, kneipig, wetterfest, unaufwendig, schlipsfremd, handwerklich, trittfest, robust, nicht sehr weltläufig. Und sächselnd.

Sagt Shakespeares Lear von sich, an ihm sei jeder Zoll ein König, so ist bei einem Sodann jeder Zoll ein Schlitzohr. Halles Theaterchef zum Beispiel: Das war der Kumpel auf dem Kaiserthron – aber ein Kaiser, dem man unter allen Umständen den Bettelmann ansehen sollte. Nichts ohne Standesbewusstsein! Dass ihm die Stadt 2005 das Theater kündigte, kurz bevor er als Direktor das Vierteljahrhundert hätte beschließen können – es hat ihn tief gekränkt. »Seine« Kulturinsel war Theater, Kneipe, Hotel, Galerie, Bibliothek, und er war Vorsteher und Hausmeister, Familienvater und Weltregent, Narr und Prolet, Direktor und von allen der direkteste Tor. Des Intendanten Bühnencredo: »Bei mir wird auf dem Flügel nicht gevögelt.«

Dieser (Lebens-)Künstler ist dem Stammtisch – nimmt man dem Begriff den schlechten Ruf – näher als dem roten Teppich. So einer geht zum Stammtisch, als sei der Weg dahin ganz roter Teppich. Vielleicht nicht Teppich, aber rot. Sodann ist mehr Kommunist geworden und geblieben als viele, die nur harte Ideologen und rabiate Feindbildner waren – unter Berufung auf kommunistische Manifeste in der DDR. Im Staat, den er nach wie vor ein Gefängnis nennt.

Legendär: seine von mehreren Tausenden besuchten Hallenser Theater-Umzüge an jedem 1. Mai (nach Ende der DDR!) – jeweils gipfelnd in einer Sodann-Rede, Rede eines Freizeit-Tribuns, der komödiantisch gewieft und zugleich mit aggressiver Unbedenklichkeit gegen Mächtige zu Felde zog. Theater – auf dem Boden der Tatsachen und wurzelnd im östlichen Volksempfinden. Dem er freilich auch ins Stammbuch schrieb: »Wenn der Westen nicht über uns gekommen wäre, würden wir DDR-Bürger längst in Zelten leben.« Man musste das alles nicht mögen und konnte Sodanns Bundespräsidentenkandidatur für die PDS, dann Linkspartei im Jahre 2005 eine eitle Eulenspiegelei nennen – aber man bekam in der Nähe dieses Mannes stets sehr schnell mit, warum Politiker im öffentlichen Empfinden immer weniger Rückhalt und Zutrauen finden. Grass schrieb einst das Stück »Die Plebejer proben den Aufstand« – der Titel stachelt die Assoziationslust an: Der Plebejer Sodann ist von Berufs wegen einer, der probt. Es scheint immer, nach Maßgaben des Komödianten, der Aufstand zu sein.

Als Schauspieler, ob nun als erwähnter erster ostdeutscher »Tatort«-Kommissar, ob nun als Mielke im »Deutschlandspiel«, als Stasi-Größe in Frank Beyers »Nikolaikirche«, ob nun in Filmen von Lothar Warneke, Roland Gräf oder Bernhard Wicki – Sodann ist ein Spieler ganz aus Hintergründen heraus, er blendet nicht mit Präsenz, er ist ein Gestaltender ganz in der Art jenes schrägen Lichteinfalls, der dem Geheimnis, dem Unerklärbaren der Welt-Erleuchtungen einen so schönen Schimmer gibt. Proletkult mal ganz auf der Höhe des Romantischen.

Aber um noch einmal auf das Plebejische zu kommen: Täuschung und Traum! Sodann ist ein Bücherretter, seine gigantische DDR-Bibliothek krönte das Hallenser Kulturreichsgründungswerk. Inzwischen baut Sodann diese Bibliothek in Staucha bei Meißen auf. Tausende Regal-Meter machen einen Kuhstall zum neuesten Coup des Theatermannes. Er ist selber schuld, dass man sich das, was er da angezettelt hat, nur wieder als Hybris, als Weltkomödie, als Universumsversuch vorstellen kann. Hatte er in Halle nicht ein Theater gegründet und zum Schluss eine Bibliothek installiert? Könnte es nicht sein, nur mal so als Gedanke, dass er nun, in Staucha, eine Bibliothek installiert und dann ein Theater gründet. Und Kneipe, und Hotel und, und, und, und in der Bibliothek, diesem DDR-Verlagsmuseum, natürlich auch Nutzung und Forschung, und also, am Ende, wieder so eine typische Sodann-Geistes-Therme ...

Wie gesagt: Das Plebejische täuscht listig, man wähnt es in einer Bibliotheksmühe, da wird womöglich schon wieder ein handfestes Arkadien angegangen. Nach dem Muster von Halle, das ihm zur Seelentätowierung wurde wie ein genetischer Fingerabdruck: Peter Sodann wird dort Peter der Große, wird dort Zar, wo er auch Zimmermann ist. Einmal Arbeiter, immer Arbeiter. Das Künst-Stück dieses Künstlerlebens.

Und so sei ihm zum Geburtstag geschenkt, die Spendenkonto-Nummer fürs Bücherrettungswerk zu veröffentlichen. Spenden an: Peter Sodann Bibliothek e.V., Sparkasse Meißen, BLZ 85 05 500, Kto. 31 50 00 50 00. Bücherspenden an: Gemeindeverwaltung, Thomas-Müntzer-Platz 2, 01594 Staucha.

Abonniere das »nd«
Linkssein ist kompliziert.
Wir behalten den Überblick!

Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal