Spuk und Mensch

»Amerika« in Bochum

  • Volker Trauth
  • Lesedauer: 3 Min.

Jan Klata ist in Deutschland bekannt geworden durch die Inszenierung seines eigenen Dokumentarstücks »Transfer«, dem Erlebnisberichte von deutschen und polnischen Vertriebenen zugrunde lagen. Schon in dieser Inszenierung bewies er seine Fähigkeit, Vorgänge in die groteske Zuspitzung zu treiben.

Auch in seiner szenischen Umsetzung von Kafkas Romanfragment »Amerika« am Schauspielhaus Bochum strebt er nicht eine psychologisch-realistische Nachzeichnung des Textes an, sondern eine theatralisch-phantastische Nummernshow. Schon die erste Szene, die Ankunft des 16jährigen Karl Rossmann im Hafen von New York, zeigt die Richtung an. Karl, der den Heizer verteidigen will, sieht sich einer Wand von Anklägern gegenüber. Weit oben, fünf Meter über seinem und des Heizers Kopf, thronen martialische Gestalten in den Kampfanzügen einer American-Football-Mannschaft. Die Rechtfertigungssuada des Heizers wird übertönt von rhythmischen Schlägen auf Schutzhelme und Abwehrschilde.

Auch in den folgenden Szenen tritt an die Stelle von Kafkas dumpf lauernden Geheimnissen das körperbetonte, komödiantisch aufgeladene Spektakel, ein Jahrmarkt der Attraktionen. Am Speisetisch des Geschäftsmannes Pollunder, wo sich bei Kafka das kommende Unheil ankündigt, umtanzen Kübel tragende und Suppenlöffel schwingende Kobolde das Mahl. Für Momente allerdings scheint das Verhängnis auf, wenn dem Delinquenten Karl anstelle seiner wiedergefundenen Kopfbedeckung eine Zipfelmütze übergestülpt wird, die an die spanische Inquisition erinnert.

Gänzlich löst sich Klata dann im zweiten Teil von den sozialkritischen Momenten in Kafkas Roman. Aus dem Hotel »Occidental« in Ramses, in dem Karl als Liftboy untergekommen ist, wird ein ägyptischer Tempel, bevölkert von Tempeltänzerinnen und -tänzern, darunter Karls Gönnerin, die Oberköchin und seine still leidende Freundin Therese.

Unter den Pirouetten des Tempeltanzes geht etwas Wesentliches verloren: die Solidarität der kleinen Leute. Und wenn sich Karls Peiniger, der Oberkellner und der Oberportier, in gedrechselten Tanzeinlagen regelrecht übertreffen wollen, bleibt in der Verhörszene jene für Kafka typische Aussichtslosigkeit auf der Strecke, mit der sich das arme Schwein Karl im Gestrüpp von erlogenen Anfeindungen verheddert.

Den Karl spielt der junge Schauspieler Dimitri Schaad. Unter den windigen Spukgestalten ist sein Karl der einzige fühlende Mensch. In seinem Bewegungsvokabular an Charlie Chaplin erinnernd, tänzelt Schaad durchs Stück, taumelt und bricht am Ende hilflos zusammen. Der junge Schauspieler kämpft ständig ums Überleben. Wunderbar die Szene, in der er mit sichtlicher Anstrengung und nur ungenügend verborgener Abscheu die Exaltiertheiten und Gemeinheiten der reichen Tochter Klara über sich ergehen lässt, wenn er auf Klaras Befehl ein Klavierstück mit Lied vorträgt und schließlich weinend zusammenbricht.

Wenn dieser vom Leben so gebeutelte Junge den Glücksverheißungen des »Naturtheaters von Oklahoma«, die ihm aus dem Off entgegenschallen, nicht so recht glauben kann, dann versteht ihn noch der Zuschauer in der letzten Reihe. Insgesamt ein fantasievoller Abend, der uns die Begegnung mit einem außergewöhnlich begabten jungen Schauspieler bringt.

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